Heute Morgen habe ich das Fasten gebrochen und einen halben Apfel gegessen. Gerade trinke ich den ersten Latte Macchiato mit laktosefreier Milch. Die natürlich viel bekömmlichere Sojamilch gibt es bei Caras leider nicht. Und bei Starbucks nebenan waren alle Sessel besetzt. Und eigentlich sollte ich heute sowieso noch keinen Kaffee trinken. Dem Apfel sollten für den Rest des Tages Tee und Wasser folgen. Leider regt sich bei den Worten müssen und sollen immer ein gewisser Widerstand in mir. Ich könnte die Situation entspannen, in dem ich mir erzähle, dass ein bestimmtes Verhalten klüger wäre oder für den Körper gesünder. Das könnte ich. 

Der kleine Löffel Honig in der Latte ist übrigens ein weiterer Verstoß gegen die Erkenntnisse der letzten Woche, denn nun weiß ich, dass Honig die Insulin-Ausschüttung anregt, und dass unsere Bauchspeicheldrüse mit den 60 kg Zucker, die ein Durchschnittsmensch angeblich pro Jahr verbraucht, längst heillos überfordert ist. Mit dem Wissen um all meine Sünden werde ich von nun an leben müssen. Einiges werde ich vermutlich verkraften, aber ob ich in Zukunft wirklich noch unbeschwert Gummibärchen naschen kann? Wo ich doch gerade erfahren habe, dass sich in harmlosen 50 Gramm zehn Stückchen Zucker verstecken?

Ich schließe die Augen, schmecke, und dann schnurre ich ganz leise vor Behagen. Wie oft habe ich in den letzten neun Tagen von Espresso, Cappuccino, Latte geträumt. Und von einem wunderbaren, in der Pfanne gebratenem Schnitzel, das natürlich auch ungesund ist und genau wie Kaffee bei regelmäßigem Konsum dazu führt, dass der Körper sauer wird.

Ich werde vor allem sauer, wenn ich daran denke, was ich aus Vernunftgründen in Zukunft nicht essen oder trinken sollte. Oder wo es meinetwegen klüger wäre, auf den Verzehr zu verzichten. Bananen, alle Weizenprodukte, wozu natürlich auch die wunderbare italienische Pasta gehört, Milchprodukte, Bier, geräucherter Lachs, ach, wahrscheinlich wäre es einfacher aufzuzählen, was erlaubt bzw. gesund ist.Eine interessante Beobachtung am Rande.

Obwohl es Tag für Tag leichter wird, auf feste Nahrung zu verzichten, redet der fastende Mensch gern und ausgiebig über das Essen. Ich korrigiere. Manche Menschen tun das. Denn Freundin E. verspürte diesen Drang nicht. Die hatte auch keinen Hunger. Ich hatte, wenn schon keinen Hunger, dann doch einen ordentlichen Appetit. Und deswegen habe ich mich gern über leckere Gerichte unterhalten, Rezepte ausgetauscht, mir duftende Köstlichkeiten auf einem Teller vor meiner Nase vorgestellt. Oft die ungesunden Sachen, ich gebe es zu. Bratkartoffeln. Ein Leberkässemmel. Grrrrrrrrrrrr.

Trotzdem kann ich nach neun Tagen Fasten sagen: Ich muss nicht essen. Und das ist eine durchaus erstaunliche und vor allem völlig neue Erfahrung für mich. Ich kann mich entscheiden. Ich muss meinen Wünschen und Vorlieben nicht nachgeben. Denn das meiste passiert tatsächlich im Kopf. Zumindest in meinem Kopf. Ich will nicht ausschließen, dass es in anderen Köpfen anders aussieht. Zum Beispiel stellt sich bei mir ein gewisses Bedürfnis nach völlig ungesundem Kuchen allein beim Betrachten desselben ein. Es ist kein Hunger, nicht einmal Appetit, nur ein großer, den Geist plötzlich beherrschender Wunsch. So eine Art Pawlowscher Reflex. Der sich auch immer dann einstellte, wenn wir in Westerland bei Gosch vorbei kamen. Oder wenn in einem der Restaurants, wo wir in der Wanderpause leckeren frisch gepressten Obstsaft zu uns nahmen, am Nebentisch Rührei mit Schinken serviert wurde.

So war denn auch mein Magen nach dem halben Apfel heute Morgen nicht satt und zufrieden, und nichts deutet darauf hin, dass er für den Rest des Tages Ruhe geben wird. So hatte man es mir jedenfalls versprochen. Mein Magen möchte jetzt am liebsten noch ein Croissant und dazu einen zweiten Latte Macchiato. Alles nur in meinem Kopf, der Magen ist unschuldig, ich vergaß. Und außerdem ist es im Vergleich zu den Anfechtungen der letzten Woche geradezu ein Kinderspiel, diesem Bedürfnis nicht nachzugeben.

Übrigens wurde meine Tapferkeit am Ende tatsächlich belohnt. Ich bin entschieden fitter als noch vor neun Tagen. Der Körper und der Geist sind leichter, freier, ich bin morgens schon glücklich und freue mich auf den neuen Tag. Magen und Darm haben sich entspannt. Kein Wunder, sie hatten nichts wirklich Wichtiges zu tun. Die alten Hosen passen wieder, die Knochen tun etwas weniger weh, und mit dem Rest werde ich irgendwie klar kommen. Zumal ich von einer wunderbaren Osteopathin ein paar Hinweise bekommen habe, für die allein sich das Fasten und Wandern schon gelohnt hätte.

Gestern bin ich kurz nach sieben zum Nordic Walken aufgebrochen, denn das habe ich während des Fastens auch gelernt. Nicht direkt gelernt, aber ich habe erste Eindrücke gewonnen, wie es ist, wenn man es richtig macht. Ganz schön anstrengend, aber Spaß ist auch dabei. Und der ist ja auch nicht ganz unwichtig. Sofort flüstert eine Stimme in meinem Inneren, wie viel Spaß sie jetzt hätte, wenn sie noch eine zweite Latte bekäme.

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