Bevor ich zurück in den Tiergarten fahre, ein Abstecher in die Marheineke-Markthalle. Die Ausstellung mit Fotos von Wolfgang Krolow im Obergeschoss ist nur noch bis zum 02.10. geöffnet. Ich bin überrascht von der Kraft der Bilder und von den Geschichten, die sie konsequent in schwarzweiß erzählen. Von einem Kreuzberg, das so längst nicht mehr existiert. Von maroden, manchmal besetzten Häusern, von Straßen, die an der Mauer enden. Verfall, wohin man auch schaut. Aber in erster Linie erzählen die Bilder Geschichten von den Menschen, die dort vor 25 oder 30 Jahren gelebt haben.

Ein kleiner Junge mit einer Ziege am Strick. Ein Mädchen an einer Pumpe. Punk-Pärchen. Der Dicke mit nacktem Oberkörper, der den ganzen Fensterrahmen ausfüllt. David Bowie mit Schwein im Arm. Nina Hagen, die darf natürlich auch nicht fehlen. Junge Migranten, die grinsend vor einem verfallenen Haus auf schäbigen Sofas sitzen. Über ihnen Bettlaken mit Parolen. Wir sind die Terroristen und erschrecken die Touristen. Lachen muss ich mehr als einmal.

Ich bin froh, dass ich mir die Zeit genommen habe. Und obwohl die Bilder es nicht sind, werde ich ein wenig sentimental. Das Alter wahrscheinlich. Das kenne ich doch alles. Das habe ich doch mit eigenen Augen so oder so ähnlich gesehen. Und wie chic das im Vergleich zu damals heute alles aussieht. Was ja auch gut ist. Und trotzdem. Waren die Menschen damals nicht irgendwie lebendiger?

Zum Schluss noch ein Gang durch die Markthalle. Früher waren die Gassen schmaler, es war dunkler, alles irgendwie gedrängter, gemütlicher dachte ich mal, aber inzwischen gefällt mir die Großzügigkeit und das Licht, das durch die hohen Fenster hinein fällt.

Ich entdecke einen Stand, der Patronen für meinen Drucker hat, die um einiges billiger sind als in den großen Elektronik-Märkten. Ein paar Meter weiter gibt es Kaffee von einer Berliner Privatrösterei, und das ist wohl der Grund, warum ich auf die Idee komme, mir noch ein paar Meter weiter neue Absätze an meine Stiefel machen zu lassen. Solche, die nicht klappern bitte. Auf Socken zurück zum Kaffeestand, und während ich auf meine Schuhe warte, trinke ich feinen Cappuccino und  lese ein wenig im Tagesspiegel. Und die Welt ist heute mal wieder in Ordnung.

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