Kurz bevor ich Feierabend habe, erscheint der Chef am Stand. Als er mich sieht, sein üblicher Kommentar. „Lachen!“ Mit meinem Gesichtsausdruck war er von Anfang an nicht einverstanden. „Dich bedrückt was. Das muss weg.“ Er hat so seine Vorstellungen, dieser Mann. Zum Beispiel möchte er, dass wir uns hübsch machen, als würden wir zu Muttis 80sten Geburtstag gehen. Meinen heutigen Auftritt absolviere ich in dezentem, immer passenden schwarz, unter dem Pulli trage ich allerdings eine weiße Bluse. Damit sollte Mutti klar kommen.

Natürlich weiß er nicht, wie viel Mühe es mich kostet, hier heute überhaupt aufrecht zu stehen, der Hinweis, mir täte der Rücken weh, hat ihn lediglich dazu veranlasst, die Augenbrauen hoch zu ziehen. Verkauf ist ein hartes Geschäft, vielleicht muss man dafür bestimmte Gene haben, die bei mir eingespart wurden. Zwar bin ich kommunikativ, rede mit den Leuten, erzähle ihnen etwas über die Produkte, bin zugewandt, humorvoll, interessiert, manchmal sogar komisch, ich schäkere, wenn es mir angebracht erscheint, mache Komplimente, mein Gott, das sollte doch eigentlich reichen. Es reicht natürlich nicht.

„Quatschen müsst ihr. Hier muss immer was los sein.“ Wir nicken. Was sollen wir auch anderes tun. Er ist der Profi. „Und wenn da jemand vor dem Stand steht, dann könntet ihr zum Beispiel sagen, kommen sie rein, wir haben geheizt.“ Ja, auch das könnten wir. Ich beschließe, mir den Satz zu merken. Für morgen.

Im Ethnologischen Museum haben sich Zehlendorfs Bildungsbürger versammelt. Die ganz schön kiebig werden können. Was für ein Geschrei, weil ich für zwei Freunde, die extra aus dem hohen Norden anreisen, Plätze reserviere. Hesse fällt mir ein und seine Ansichten über Waffen.
Dabei haben wir doch alle den gleichen Wunsch. Wir wollen Rüdiger Safranski lauschen, diesem genialen Erzähler, der uns heute Abend Schopenhauer nahe bringt. Falls man ihm nicht sowieso schon nahe ist. Ich könnte stundenlang an diesen Lippen hängen, das leichte Lispeln stört mich überhaupt nicht.
Später mit den Schlachtenseeern noch einen Wein im Gabana, zu Hause merke ich, wie müde ich bin. Kein Lachen mehr möglich.

Einen Kommentar schreiben

Ihre Daten werden niemals an Andere weiter gegeben.
Die Email-Adresse wird nicht angezeigt. Notwendige Felder sind so markiert: *

*
*