Um sechs bin ich wach. Die Nacht war friedlich, ich habe tatsächlich geschlafen, was längst nicht mehr selbstverständlich ist. Heute schlaf ich, morgen wach ich, und übermorgen kann schon wieder alles ganz anders sein. Ein wenig benommen schleiche ich ins Bad, nein, ich kenne sie nicht, aber wenn sie auch hier wohnen, bitte. Die Espressokanne auf den Herd, das Wasser für den Tee aufsetzen, den Laptop hochfahren.

Herr W. hat mir ein Gedicht geschickt. Ich erwähnte bereits, dass ich neuerdings von mehreren Seiten? Atme den Duft der Amarylle …., trinke den schweren Wein allein in der Destille, oder so ähnlich, was da von Gottfried Benn ist und was von Herrn W., ich kann es nicht erkennen. Destille ist doch bestimmt auch eines dieser vom Aussterben bedrohten Wörter, und vermutlich kommt Herr W. genau da her, sonst säße er nicht nachts um halb drei noch am Computer. Was man sich halt so denkt mit nüchternem Magen.

Sogar eine Nachricht aus Frankreich gibt es. S. hat sich schon ein wenig eingelebt mit den Mädchen, und da wäre auch eine Couch für mich frei, ich soll mich schleunigst auf den Weg machen, jede Hand wird gebraucht. Vielleicht könnte man zusammen einen Marktstand? Könnte man vermutlich. Aber was verkaufen wir den Franzosen?

Darüber wollte ich eigentlich auf dem Rad nachdenken, aber dann regnet es und ich muss meine Kapuze festhalten, mit einer Hand lenken, wer da noch denkt, das möchte ich sehen. Und dann muss der Laden geöffnet werden, es ist dies und das zu tun, das ganze Programm eben.

Wieder zu Hause stolpere ich fast über unseren jungen Mann, der erst vor zwei Stunden in Tegel gelandet ist. Nach freudigem Erschrecken auf beiden Seiten und dem Austausch von Neuigkeiten verspreche ich, ihm einmal in der Woche eine Deutsch-Stunde zu geben. Guten Tag haben wir schon im alten Jahr geübt, heute kann es ruhig etwas schwieriger werden. Als er mir nach einer halben Stunde das Wort Wohngemeinschaft fehlerfrei auf einen Zettel schreibt, überlege ich, wer von uns beiden nun das Genie ist.

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