Das Grün im Garten ist in den letzten Tagen viel üppiger geworden, die Tulpen sind fast verblüht. Ich habe ein Foto von Cy Twomblys Tulips im Netz gefunden und ausgedruckt, in der Ausstellung war Fotografieren leider nicht erlaubt. Seine Bilder überbelichtet und unscharf, einmal sah ich ineinander verschlungene menschliche Körper in weit offenen Tulpenblüten, aber aufgetaute Tiefkühlhühner? Ich starre ein paar Sekunden auf das Bild, die Umrisse verschwimmen, und dann, nun ja, meinetwegen auch Hühner.

Die Seele braucht wieder länger, bis sie zu Hause ist. Wahrscheinlich schwebt sie noch über München, oder sie hat sich irgendwo über den Seen ein Plätzchen gesucht, da kann ich hier lange warten. In der Zwischenzeit fange ich an, das Interview zu transkribieren. Details aus der Familiengeschichte, die ich noch nicht kenne oder die ich vergessen habe.

Der Großvater, der nach dem Tod der Eltern zusammen mit seiner Schwester zu einem entfernten Verwandten kommt, der ihn halb tot prügelt, weil er den schweren Pflug nicht halten kann. Da ist er gerade mal sieben. Der mit dreizehn abhaut zu den Kohlengruben, wo er unter Tage arbeitet, verschüttet und wieder ausgegraben wird, der sich älter macht, um in den ersten Weltkrieg ziehen zu können, weil er glaubt, das wäre besser als Kohle. Und wie schnell er einsehen muss, dass er sich nicht verbessert hat.

G. ist ein guter Erzähler. Und meine Cousine versteht viel mehr deutsch als sie zugibt. Ich habe gesehen, wie sie gebannt an den Lippen ihres Vaters hing. So viel Material. Das Interview mit der Tante vor zwei Jahren, wie gut, dass ich das damals gemacht habe, und dann die Geschichten, die sie mir erzählte, als mein Vater starb. Und doch denke ich, es ist immer noch nicht genug. Ich muss noch viel mehr wissen, muss nach Lagiewniki fahren, muss mir alles ansehen. Auschwitz natürlich, dort wurde ein Bruder der Großmutter ermordet.

Heute war ich an der Reihe mit kochen. Du willst doch schon so lange darüber schreiben, sagt K., als wir nach dem Essen im Garten Espresso trinken. Stimmt. Ich habe sogar schon einiges geschrieben. Aber das ist alles Murks. Ich brauche noch dieses, noch das. Alles Entschuldigungen, es ist nicht so, dass ich das nicht wüsste. Damit ich mich nicht an die Arbeit machen muss. Und natürlich muss ich sowieso nicht. Ich will. Nur dauert es, bis ich mir diesen endgültigen Ruck gebe. Und ohne Seele geht es auch nicht.

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