In der S-Bahn pflege ich schlechte Laune und Bauchschmerzen. Schön, wenn man einen Körper hat, der einem die Entscheidungen abnimmt. Wenn man denn auf ihn hören würde. So aber denke ich, das habe ich mir selber eingebrockt, schließlich habe ich der Kleinmachnower Freundin die Karte für die Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ zum Geburtstag versprochen, und dann fanden die Schwestern die Idee von einem gemeinsamen Ausflug so nett, säusel, säusel, mal wieder alle vier, und natürlich dauerte es dann Tage, bis man sich auf einen Termin einigen konnte, und ebenso natürlich gab es dann keine Early Bird Tickets mehr im Internet.

Und deswegen stehe ich morgens um neun mit Thermoskanne und Brötchen (während die anderen drei noch gemütlich zu Hause frühstücken!) in der Schlange vor dem Bode-Museum, die so lang gar nicht ist, wie ich mir das in meinen dunklen Vorahnungen ausgemalt hatte, im Gegenteil, was mir eigentlich beweisen könnte, dass meine Befürchtungen immer viel schlimmer als die Realität sind, aber das macht meinen Befürchtungen nichts.

Eine junge Frau verschenkt das Kunstmagazin art, inklusive artcard, die mir gleich jetzt 50 % Ermäßigung beim Eintritt verspricht. Man kann das Probeabo jederzeit wieder kündigen, zwei Ausgaben gibt es trotzdem umsonst, und natürlich lasse ich mir dieses Schnäppchen nicht entgehen. Anscheinend hat mein Interesse die hinter mir und vor mir stehenden aufgeweckt, denn plötzlich wollen noch etliche andere das Magazin. Siehste, geht doch.

Wir sind dann zwar nicht unter den Glücklichen, die gleich kurz nach zehn in die Ausstellung dürfen, inzwischen sind auch die drei anderen eingetroffen, aber da wir uns unsere Einlasszeit per SMS aufs Handy schicken lassen, können wir in der Zwischenzeit gemütlich kaffeetisieren. Der Hackesche Markt mit seinen netten Cafés ist schließlich gleich um die Ecke. Eine gute Idee, das mit den SMS.

Kurz vor eins ist es dann so weit. Wir sind drin. Allerdings ist es für meinen Geschmack viel zu dunkel, die Luft viel zu abgestanden und muffig, das Gedränge vor manchen Bildern zu groß, aber nachdem ich mich still und heimlich vor mich hin geärgert habe, finde ich es doch beeindruckend.

Botticellis Portrait einer Dame, angeblich handelt es sich um Simonetta Vespucci, die ebenso angeblich eine Geliebte des Giuliano de´ Medici gewesen sein soll, erinnert mich an Uma Thurmann, zu ihr kehre ich nach kurzen Ausflügen in andere Zeiten und zu anderen Künstlern immer wieder zurück.

Während die portraitierten Herren meist ernst und bedeutsam blicken, lässt Jacometto Veneziano seine Nonne aus San Secondo schon mal Schulter zeigen. Hinter mir erkennt ein Betrachter in dem jungen Mann daneben Mireille Mathieu, während seine Frau sich über meine Nonne wundert. „Schön ist sie nun nicht gerade.“

Albrecht Dürers junge Venezianerin hat beinahe ein Lächeln im Gesicht, und auch der junge Mann von Giovanni Belline ist ungewöhnlich. Sein Gesicht – eine andere Frisur vorausgesetzt – könnte aus einem französischen Film stammen. Spannend, diese vielen unterschiedlichen Menschen, die vor so vielen Jahrhunderten lebten und deren Träume und Hoffnungen sich wahrscheinlich gar nicht so sehr von den unseren unterschieden.

Von Jacopo de Barbari gibt es einen in Venedig tätigen Kaufmann mit langem blonden Haar, „Der Deutsche“. Sein Bild gibt Rätsel auf. Warum wurde auch die Rückseite bemalt? Und was hat dieses nackte Paar mit dem Mann auf der Vorderseite zu tun? Der nackte junge Mann ist nicht derselbe von der Vorderseite, und der grüne Zweig im Glas, der so in den Vordergrund gerückt wurde, der hat doch bestimmt auch etwas zu bedeuten. Wehrt die junge Frau den Mann ab, in dessen Hand sich ihre linke Brust befindet, oder will sie stattdessen heimlich seinen Bauch streicheln?

Darüber und über vieles mehr reden wir später in der Sonne in einer der Strandbars, und beim Nachhausefahren freue ich mich, dass ich dabei war, dass ich so nette Freundinnen habe, dass ich mich für ein paar Stunden in eine andere Welt begeben habe. Ein Tag Urlaub. Der sich gelohnt hat. Und weil ich hinterher immer klüger bin als vorher, rege ich an, solche Ausflüge doch öfter zu machen. Woran ich mich beim nächsten Mal bestimmt nicht mehr erinnern kann.

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