Dem Körper geht es heute einigermaßen, um die Psyche ist es schlechter bestellt. Vielleicht sollte ich das Zeitung lesen sein lassen. Tote und vernachlässigte Kinder, eitle Politiker und Klimakatastrophe als Wort des Jahres 2007, das alles zusammen kann eine leichte Depression verursachen. Außerdem hätte ich gestern nicht mit in die Amber Suite gehen sollen. Hätte mir die weiße Bluse und den schwarzen Rock für das Essen morgen Abend aufheben sollen. Ich habe es doch schon vorher gewusst. Immer dieses hätte, hätte nicht. Damit muss Schluss sein.

Ein Ort zum Feiern für uns ab 27 soll die Amber Suite sein. Betriebe können dort inmitten von Plüsch und Leder ihre Weihnachtsfeiern und Jubiläen ausrichten. Der Dresscode lautete „schön schick wäre schön“. Anders wurde man auch gar nicht eingelassen. Kollegen, die man bisher nur in Arbeitskleidung gesehen hatte, wurden nicht wieder erkannt. In derselben Konstellation, in der man auch arbeitet, saß man an kleinen Tischen auf hohen Hockern und hatte sich auch nicht viel mehr als sonst zu erzählen. Trotzdem fielen der einen und dem anderen noch ein paar Anekdoten ein. Für alles gibt es Kurse, soll doch mal jemand einen machen, wie man Small-Talk betreibt.

Das Essen war gut, zusammen mit den alkoholischen Getränken von der Firma gesponsert, ach hätte ich doch etwas lustiger sein können. Nach dem Prosecco trank ich noch ein Glas Rotwein, konnte bei meinem Nachbarn sogar eine Zigarette schnorren, besser fühlte ich mich dadurch auch nicht. Kurz vor 22.00 Uhr wurde das Büfett abgeräumt, und dann standen die Räume der Allgemeinheit zur Verfügung, dem normal zahlenden Publikum also, das bis dahin brav in einer Schlange vor der Tür gewartet hatte. Nach ein paar Schrecksekunden vermischte es sich mit den Kollegen.

Viel Make-Up, viel Bein, viel Dekolleté. Smarte Männer in smarten Anzügen musterten ein wenig gelangweilt und beiläufig die sich inzwischen auf der Tanzfläche wiegenden Damen. Mit steigendem Alkoholpegel wurden die Blicke hungriger, aber unangenehme Auftritte gab es nicht. Dafür war die Atmosphäre viel zu gepflegt. So drückten sich meine Eltern früher aus. In gepflegter Atmosphäre ein gepflegtes Bier trinken.

Ich fühle mich zu jung für ein derartiges Etablissement, zu jung für Disco-Schunkel-Pop. Vermutlich hat es mit dem Hippie-Mädchen zu tun, das noch immer in einer Ecke meines Herzens lebt. Ich hätte meinen Chef fragen sollen, ob ich meine Mutter mitbringen darf. Sie hätte sich gut amüsiert.

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