Wie ich diese Ausflüge liebe. Eben noch in Görlitz oder Bautzen, jetzt schon wieder in meinem Zimmer, das sich fleißig müht, warm zu werden. Der weihnachtliche Strauß, den die Damen aus dem Norden am Donnerstag zur Bücherrunde mitbrachten, hat die Kälte auf dem Balkon gut vertragen, die Rose sieht aus, als wäre sie gerade geschnitten worden. Zusammen mit dem kleinen Topf von der Freundin aus Schlachtensee sorgt sie für weihnachtliche Stimmung. Die weißen Kerzen auf dem Kranz, das Rot der Rose, das sich mit dem Rot der Beeren vom Topf vermischt, wenn ich jetzt noch das neue Auto dazu stellen könnte….Perfekt wäre das.

Pfui Teufel, was bist du doch für eine Materialistin. Wenn ich nur wüsste, wem die Stimme in meinem Kopf gehört. Immer will sie mir alles mies machen. Ja, ich gebe es zu. Ich liebe nicht nur den Mann, den Sohn, meine Eltern und ein paar gute Freunde, ich liebe auch meinen Laptop. Und jetzt eben dieses Auto. Es ging ganz schnell. Nach zehn Minuten auf der Landstraße war ich ihm verfallen. Wie bequem und hoch man sitzt. Wie leise es ist. Man kann sich während der Fahrt unterhalten. Musik hören. Noch drei Menschen mitnehmen, ohne dass sie sich hinten stapeln müssen. Zu allem Überfluss zeigt mir ein Gerät sogar die Außentemperatur an. Wenn das kein Luxus ist.

Das alte Auto haben wir den Kleenen genannt, jetzt reden wir stolz von unserem Großen. Als wir gestern noch einen Abstecher nach Bautzen gemacht haben, hatte ich tatsächlich Angst, jemand könnte ihn klauen. Völlig paranoid war ich. Am liebsten hätte ich einen Wachdienst engagiert. Deswegen war es sicherlich gut, dass wir nicht schon am Freitag zu dem freundlichen Autohaus nach Leutersdorf gefahren sind, sondern erst einmal in unsere Pension nach Görlitz. Mit dem Großen vor der Tür hätte ich den Aufenthalt dort vielleicht nicht so genießen können. Das wäre schade gewesen.

Diesmal war der Mann derjenige mit dem guten Händchen. Er hatte etwas von einem Schreibwettbewerb gelesen, an dem die Pensionsgäste teilnehmen können. Das hat ihn als erstes für die Goldene Feder eingenommen. Das zweite waren die Fotos von dem Haus und den Zimmern, die kein bisschen geschmeichelt sind, weil es in der Realität fast noch schöner ist. In dem ehemaligen Handwerkerhaus aus dem 18. Jhd muss man die Augen offen halten, um alle Details wahr zu nehmen, die so klug erhalten wurden, wie die blechbeschlagenen Innentüren.

Wir haben im Studio unter dem Dach gewohnt. Dunkle Holzbalken, Schränke und Teppiche aus ehemaligen Familienbesitz, eine sehr bequeme Ledergarnitur, das Bett großzügig und ebenfalls bequem. Im Bad dunkler Granit. Alles sehr geschmackvoll, sehr gediegen, aber nicht so gediegen, dass sich der Mann nicht wohl gefühlt hätte. Zu viel Luxus geht ihm nämlich auf die Nerven, das mag er gar nicht. Das Frühstück wird in einem Gewölberaum eingenommen und von den Besitzern selbst bereitet und serviert. Wenn man möchte, bekommt man dort auch gleich ein paar Tipps für die Umgebung. Oder man erfährt, dass in der Nacht der Justitia am Rathaus mal wieder das Schwert geklaut wurde.

Bei unserer Ankunft hatten wir den Besitzer um eine Restaurant-Empfehlung gebeten. Als erstes erfuhren wir, dass wir uns beeilen müssten, wenn wir noch auf den Weihnachtsmarkt wollten. Der schließt wochentags um 19.00 Uhr. Und dann sollten wir am Untermarkt, der nur ein paar Schritte von der Goldenen Feder entfernt ist, das Restaurant St. Jonathan besuchen. Dort gäbe es eine sehr gute Küche, wir könnten uns auch auf unseren Gastgeber berufen, wenn alles voll wäre, dann bekämen wir eventuell noch einen Tisch. Gesagt getan.

Der Weihnachtsmarkt war im Gegensatz zu den aus Berlin gewohnten eher übersichtlich, aber das fand ich sehr angenehm. Ich hatte nicht das Gefühl, dass man uns um jeden Preis etwas verkaufen wollte. Vielleicht lag es an dem Chor vor dem Rathaus. Oder an der Kälte. Dem nahenden Feierabend. Die Atmosphäre war persönlich. Händler unterhielten sich mit ihren Käufern. Es wurden Scherze gemacht, man tauschte Kindheitserlebnisse aus, trank ein Schnäpschen zur Probe, aus einer anderen Flasche noch eines, alles selbst gebrannt, man kennt seine Bäume, seine Wiesen und wohl auch jede einzige Frucht persönlich. Weil ich mich nach dem ersten Schluck schüttelte, bekam ich etwas süßeres vorgesetzt, aber süß, das machen wir schon selbst. Der Mann entschied sich für einen Vogelbeergeist, es wurde noch eine Weile im besten erzgebirgisch geschäkert und gealbert, vor lauter Freude darüber hätte er vielleicht noch die eine oder andere Flasche erstanden. Aber es war kalt, Hunger hatte ich auch, und da hatten wir auch noch den Vorsatz, am nächsten Tag zurück zu kehren.

Im St. Jonathan bekamen wir tatsächlich einen kleinen Tisch mit einem Reserviert-Schild, nachdem wir uns als Gäste der Goldenen Feder zu erkennen gegeben hatten. Nach uns kommende Gäste wurden mit Bedauern abgewiesen, weil es tatsächlich voll war. Ein Patrizierhaus. Der Gastraum im Erdgeschoss ein riesiges Tonnengewölbe. Wandmalereien. Auch hier ein gutes Gespür für Details, für gute Beleuchtung vor allem. Auf den Tischen Kerzen, die elektrische Lampen an der richtigen Stelle. Wir fühlten uns wie aus der Zeit gefallen. Ein wenig Mittelalter. Aber nur ein wenig. Ohne das ganze Zeug, das andere Gastronomen mit Mittelalter verbinden und das einen eher davon abhält, ihre Etablissements zu besuchen. Stattdessen eine Küche, die uns jubilieren ließ. Der Mann aß Schweinefilet in Grüner-Pfeffer-Soße mit Trüffel-Tortellinis und gedünsteten Tomaten, ich dasselbe ohne Schwein, dafür hatte ich auch mehr von den leckeren Tortellins auf meinem Teller. Vor lauter Entzücken und hm und ah konnten wir gar nicht reden. Das ist eher selten bei uns. Nicht nur die Finesse und den Geschmack, auch die Preise kann man zur Nachahmung empfehlen. Da wird wunderbar gekocht, und das trotzdem bezahlbar. Ob da wohl mal eine Sterne-Vergeber hin fährt? Aber die haben dann doch wieder was zu meckern, oder die kennen den Koch nicht. Bei dieser ganzen Kochmützen oder Sternevergabe kann man sowieso nur Inzucht vermuten. Wir fahren auf alle Fälle wieder hin. Gut essen und gut schlafen, das kann man in Görlitz auf alle Fälle. Und jetzt muss ich mich schon wieder sputen, aber bevor ich anfange zu jammern, dass mir wieder jemand das Wochenende geklaut hat, drücke ich lieber auf speichern.

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