Aus dem Zimmer des Mannes sickern von Zeit zu Zeit Musikfetzen. Vorhin Pavarotti, jetzt Janis Joplin. Oh Lord want you buy me a Mercedes Benz. Er brennt CDs für das Auto. Für unterwegs. Heiliger Strohsack. Solche Dinge nimmt er ernst. Das kann mehrere Abende in Anspruch nehmen. Ich habe derweil den neuen Roman von Katja Lange-Müller ausgelesen. Ein gutes Buch, in dem die Ich-Erzählerin Soja mit ihrer toten Liebe Harry spricht. Mit dem Mann, der sie Mausepuppe genannt hat, der im Knast war, ein Junkie mit Aids, manchmal liebenswert und doch nicht zu retten.

Soja sagt dem toten Harry alles, was zu seinen Lebzeiten nicht möglich war. Sie erzählt ihm die gemeinsame Liebesgeschichte aus ihrer Sicht.  Berlin 1987, der Fall der Mauer, die Zeit danach, eine kurze Spanne Leben, in der doch alles enthalten ist. Dass diese Liebe, die ins Unglück führt, dennoch das größte Glück bedeutet, jedenfalls behauptet das der Klappentext, fühlt sich für mich nicht richtig an, aber das hängt wohl mit meiner heutigen Gestimmtheit zusammen, ein anderer Leser kann zu einem anderen Ergebnis kommen.

Dabei gleichen meine Erinnerungen in vielen Punkten denen der Erzählerin. Selber 1981 „rüber gemacht“, in diesen vor sich hin dümpelnden anderen Teil der Stadt, die erst noch groß werden wollte und die mich gleichermaßen abstieß und faszinierte. Auch das Thema Ost-Frau liebt West-Mann ist mir nicht unbekannt. Und dann noch Moabit Birkenstraße. Da habe ich zwei Jahre gewohnt. Sentimentalität wie bei der Lektüre von Herrn Lehmann, ach ja damals, die Rote Harfe, der Elefant, wisst ihr noch, wollte sich trotzdem nicht einstellen. Die Bösen Schafe provozieren mich eher.

Als ich also die letzte Seite umgeblättert und noch nicht entschieden hatte, ob Soja nun besonders liebesfähig oder besonders leidensfähig oder gar beides ist, und ob das der Grund sein könnte, warum sie mir unsympathisch ist, habe ich mich auf meine Decke gelegt und ein paar Übungen gemacht. Zum Schluss habe ich die Knie mit den Händen umfasst, die Beine dem Himmel oder meiner Zimmerdecke entgegen gestreckt, die Bauchmuskeln angespannt. Den Teil jedenfalls, in dem ich besagte Muskeln vermute. Beim Zählen bin ich bis 20 gekommen, bevor ich den Po ablegen und nach Luft schnappen musste. Letzte Woche war das bereits bei vierzehn der Fall, ich habe Fortschritte gemacht.

In der Entspannungsphase habe ich darüber meditiert, ob mein Leben erst durch meine Erinnerung zu einem richtigen Leben wird, oder dadurch, dass sich andere an mich erinnern. Sie hat sich so viele Gedanken gemacht, könnte jemand sagen. Und sie lieber aufgeschrieben als ausgesprochen, murrt eine Freundin. Einem anderen wird vielleicht noch einfallen, dass ich auf meine Weise auch eine Schauspielerin war, eine schlechte zwar, aber immerhin.

„Und wisst ihr noch, wie ihr oft vor dem Essen schlecht war, weil sie solchen Hunger hatte?“ Das würde bestimmt der einen oder anderen Freundin einfallen. Und der ehemals beste Freund könnte dann ergänzen, dass mir hinterher auch oft schlecht war. Falls der überhaupt dabei wäre. Seit zwei Jahren reden wir nicht mehr miteinander. Dann lachen alle und sind gleichzeitig ein wenig verunsichert, weil sie nicht wissen, ob man lachen darf.  Und ich werde mir meinen Teil denken und sagen, Mensch, lasst doch die ollen Kamellen.

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