Wahrscheinlich geht es den anderen wie mir. Ich habe noch nicht wirklich begriffen, dass Du nicht mehr da  ist. Dass Du nie wieder vor meinem Zimmer stehen und „Dyssek, kann ich mal reinkommen?“ rufen wirst. Auf die Silbe „Hoj“ und das „Frau“ hattest Du in den letzten Monaten aus mir unbekannten Gründen verzichtet. Eine Frage der Effizienz?

„Dyssek? Sind Sie da? Kann ich Sie zu einem Glas Wein überreden?“ (Was bedeutet es eigentlich, wenn Freunde einen siezen? Was hatte es in Deinem Fall zu bedeuten?)

Ich musste nur selten überredet werden, aber das weißt Du ja. Damit ist natürlich Schluss. So wie auch mit anderen Gewohnheiten Schluss ist. Keiner da, der Witze erzählt, frauenfeindliche sowieso nicht, und von  Blödmösen im Straßenverkehr spricht selbstverständlich auch niemand. Lacht sich auch keiner scheckig darüber. Es wird auch keine  Spritztour ins Umland vorgeschlagen (allerdings werde ich auch nie wieder eine Stunde Helene Fischer hören, jedenfalls nicht freiwillig), und niemand berichtet mit großer Begeisterung von seinen verschiedenen Nahrungsmittelstützpunkten.

Bei Nahrungsmitteln fällt mir gleich unsere Küche ein. Der Kühlschrank. Haben wir alles aufgeräumt. Auch entsorgt das eine oder andere. Schon zwei Tage, nachdem Du ins Krankenhaus gekommen bist. Nutzet die Gunst der Stunde oder so ähnlich. Ich hatte anschließend ein wenig Sorge, ich gebe es zu, Du könntest vielleicht einen Herzinfarkt bekommen, wenn Du das Ergebnis siehst. Aber das hast Du ja auch ohne Küchenbesichtigung hin bekommen.

Ich trage Deinen Hut. Benutze eines Deiner Eau de Toilettes. Und vielleicht werde ich in einigen Tagen sogar in Deinem Zimmer schlafen. Das wollte ich doch immer mal. Weil es das schönste im Haus ist. Hell. Luftig. Und in dem aufgeräumten Zustand gar nicht mehr Deines. Und dann doch Deines. Weil es Deinen Duft behalten hat. Der erstaunlicherweise (verzeih, aber ich finde es erstaunlich) sehr angenehm ist.

Steht nicht an meinem Grab und weint. Ich bin hier nicht….

Weißt Du noch? Du hast mir das Gedicht vor vielen Jahren aufgeschrieben. Ich hatte es in einem Buch gelesen, mich aber nur an diese paar Worte erinnern können. Jetzt liegt es hier neben meinem Laptop und ich wundere mich, weil ich Deine Schrift lesen kann. Du musst Dir wirklich Mühe gegeben haben. Damals hattest Du mir erzählt, dass Du das Gedicht manchmal bei einer Trauerfeier sprichst, wenn Du glaubst, die Hinterbliebenen könnten etwas damit anfangen.

Steht nicht an meinem Grab und weint…

Das kann ich nicht versprechen. Auch wenn ich weiß, dass Du da nicht bist.

1 Kommentar

  1. Connie
    geschrieben am 22. Juni 2016 um 08:11 Uhr| Permalink

    Liebe Nanette,
    jetzt habe ich mir endlich die Zeit genommen, deinen Eintrag zu lesen. Er geht mir unter die Haut. Sowieso denke ich schon die ganzen Tage an dich/euch, frage mich, wie es wohl ist, in dem Haus zu wohnen, in dem der Freund gestorben ist, immer wieder mit seinem Leben und jetzt mit seinem Tod konfrontiert zu werden. Ich kenne das (zum Glück) nicht. Ein Freund von mir ist im letzten Sommer gestorben, aber er wohnte in Kladow und der mir liebste Mensch, mein Vater, im Sommer 2013 in Sandkrug bei Oldenburg. Dort liegt er im Friedwald begraben und in diesem Jahr habe ich mich getraut, ihn zu „besuchen“. Und er war da, war sehr nah an diesem Ort. Wir haben geredet und gegessen und es war sehr beruhigend, ihn mal wieder „gesehen“ zu haben.
    Viel Kraft für dich.
    Connie

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