Unser Gruppenraum hat sich in den letzten Wochen verändert. Überall hängen Gedichte, Bilder, Wörter in mehreren Sprachen. Tatsächlich ein Kreativ-Raum. Ein Ort, der dazu einlädt, sich einzulassen. Auf ungewöhnliche Experimente, auf verschiedene Arten, sich auszudrücken. Verbal, nonverbal, klopfend, summend, brabbelnd, mit Farben und unterschiedlichen Materialien, tanzend, singend. Alles ist möglich. Das erscheint Außenstehenden manchmal verrückt – Gesichter sprechen ja leider – aber eigentlich ist es völlig normal.

Auch heute übernimmt ein Gruppenmitglied für fünfundvierzig Minuten die Leitung, und ich bin schon wieder perplex, wie sehr sich meine Mitstreiter öffnen. Tanzende Elfen, lustige Bären, Latinas, eine Art Copacabana-Feeling stellt sich bei mir ein. Später geht es um die Gedichte, die sie in der letzten Woche geschrieben haben, da werden einige noch einmal vorgetragen, gecoacht vom Kroaten natürlich. Heraus kommt dabei immer etwas, was mich berührt und bewegt.

Erst muss ich ein wenig überlegen, welches Gedicht ich nun nehme. Auch wenn ich nicht hier war, Gedichte habe ich schon verfasst. Besser keins, bei dem ich eventuell in Tränen ausbrechen könnte. Es gibt da einige. Lieber etwas harmloses. Es ist schon älter, und natürlich überhaupt nicht harmlos. Die letzte Zeile kann ich nur mit Mühe sprechen. Das beeindruckt den Kroaten nicht.

Noch einmal.

Nein. Ich kann nicht.

Doch. Du kannst.

Inzwischen ist es total ruhig. Ein Mann steht auf und will mir ein Taschentuch bringen. Eine Geste vom Kroaten hält ihn zurück. Der Kroate sitzt mir gegenüber und es sieht aus, als wolle er mich hypnotisieren. Ich wische mit meinem Ärmel an meiner Nase herum und bekomme kaum noch Luft.

Wie ist der Himmel? Wie sind die Gesichter?

Ich kann nur den Kopf schütteln. Sprechen geht gar nicht. Ich versuche es ein paar Mal, aber es ist keine Stimme da. Nur Sekunden zum Überlegen. Will ich mich wirklich so zeigen? Ist das nicht ziemlich intim? Zu intim vielleicht? Aber ich  habe keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Und was macht es eigentlich, wenn ich hier weine? Das bin ich. Das ist mein Schmerz. Verdammt noch mal. Also.

Hinterher fühle ich mich geradezu euphorisch. Als hätte ich eine Grenze überschritten. Eine Grenze, die ich selbst festgelegt hatte. Und mit dieser Hilfe, dieser Ermunterung, war es dann ganz leicht.

Davon will ich mehr. Solche Räume möchte ich auch schaffen. Kann ich nicht ein Praktikum beim Kroaten?

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