Mit dem freien Zimmer unten gestaltet es sich schwierig. Menschen haben es sich angesehen, waren angetan, haben sich nie wieder gemeldet. Aus Krankheitsgründen und weil ich ja nicht mehr lange da bin habe ich das nur aus der Ferne verfolgt und mir die Vorstellungsgespräche erspart. Mit einem jungen Mann aus München hatte ich allerdings geskypt. Er braucht dringend ein Zimmer, da er hier irgendwo in Zehlendorf das Abitur machen will.
Wie üblich hatte ich ihn auf unser Durchschnitts-Alter hin gewiesen. Das durch den jungen Syrer zwar um einiges nach unten gegangen ist (44,5 jetzt), das aber immer noch deutlich über 18 liegt. Kein Problem, er wäre sehr reif für sein Alter. Das habe ich schon mal so gehört. Jungen Menschen fällt auf, dass sie schon reif sind. Woran merken sie das? Sie mögen reif sein, aber dann melden sie sich nicht, obwohl sie das tun wollten. Ich hatte ihn längst abgeschrieben, seine Nummer gelöscht.
Gestern Abend dann ein Anruf. Er würde am nächsten Tag kommen. Heute also. Hallo? Täte ihm leid. Aber er war Ski laufen. Gut. Auch ich bin spontan. Und deswegen habe ich das Zimmer gesaugt, ein wenig Staub gewischt, bin einige Male in Schweiß ausgebrochen und musste mich setzen und Pause machen. Egal, auf alle Fälle habe ich dann auch gleich die Stapel von Papier entsorgt. Es handelt sich ja um mein altes Zimmer. Und immer noch gibt es dort Bücher, Möbel, Berge von bedrucktem und mit der Hand beschriebenem Papier. Jetzt sind da nur noch Bücher und Möbel.
Die Freundin hatte mich schon vor Wochen gebeten, nicht voreilig zu entsorgen, um Gottes Willen keine Texte, keine Tagebücher, aber ich bin mir sicher, dass ich es nicht bereuen werde. Morgenseiten. Angefangene Romane aus Urzeiten, Sachen, die mir vielleicht peinlich wären beim nochmaligen Lesen. Oder es wäre den Menschen peinlich, die eines Tages vor meinem Nachlass stehen. Nein, ich bereue nicht. Ich warte auf den reifen jungen Mann.