Gestern war ich mit einer Freundin im Haus der Wannsee-Konferenz. Die Freundin recherchiert für ein Buch, das sie über ihre Eltern schreibt, ich hatte kein besonderes Anliegen. Schon seit langem will ich mir den Ort ansehen, an dem im Januar 1942 führende Nazigrößen darüber diskutierten, wie man die Deportation und Ermordung der europäischen Juden am besten organisieren könnte. Damals ging es um die Endlösung, wir wissen heute, wie sie das Problem geregelt haben. Ich suchte nach nichts bestimmten, fand dann aber doch ein paar Dinge, die für meine eigene Recherche über meine Großeltern väterlicherseits interessant sein könnten.

Ich notierte mir, dass der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Polen 1933 bei 9,7 % lag, 3,1 Mio. Menschen, und dass davon 90 Prozent ermordet wurden. Dass Wilhelm Krüger, nicht nur Mitglied des Reichstages, sondern auch SS- und Polizeiführer in Krakau war. Dass der Reichsarbeitsdienst 1938 unter dem Motto „Wir fahren nach Polen, Juden zu versohlen“ unterwegs war. Auf einem Foto der Ausstellung kann man einen Zug mit dieser Aufschrift sehen.
Mir wird immer etwas übel, wenn ich Dokumente aus der Nazizeit studiere und mir Fotos ansehe. Mir fallen all die Menschen ein, die angeblich nichts gewusst haben. Schlecht geworden ist mir auch bei einer Aussage von Adolf Eichmann, die er 1961 während des Prozesses in Jerusalem gemacht hatte. Darin beteuert er immer wieder seine Unschuld, da er doch keinen einzigen Menschen getötet hätte, keinen Juden, auch keinen anderen, er hätte doch immer nur das getan, was man von ihm verlangt hatte. Zum Thema Gehorsam sagte er unter anderem: „Das leugne ich nicht ab……denn was mir befohlen worden ist, musste ich machen, Kraft meines Fahneneides und meiner Verpflichtung. Davor kann ich mich leider nicht entziehen, habe auch nie den Versuch gemacht. Aber von mir und mein persönliches Wollen ist es nicht gewesen…“

Mir geht der Film nicht aus dem Kopf, den ich vorgestern Nacht eher durch Zufall gesehen habe. Ich war beim Zappen bei einer Szene in einem Flugzeug hängen geblieben. Über Lautsprecher hört man die Durchsage, dass die iranische Grenze soeben überflogen wurde, und schon begibt sich eine junge Frau zur Toilette, wo sie den schwarzen Schleier mit Wasser tränkt, ihn um den Rauchmelder schlingt, um sich dann eine Zigarette anzuzünden.
In dem Film „Fremde Haut“ von Angelina Maccarone spielt Jasmin Tabatabai eine junge Iranerin, die wegen ihrer lesbischen Neigung gefoltert und vergewaltigt wurde und nun von der Todesstrafe bedroht ist. Die Flucht scheint fürs erste gelungen, mit anderen Flüchtlingen wird sie auf dem Frankfurter Flughafen festgesetzt, wo sie so lange warten muss, bis über ihren Asyl-Antrag oder eine Aufenthaltsgenehmigung entschieden wird. Beschämende Szenen, wenn die Menschen unter polizeilicher Bewachung an den Rand des Rollfeldes gefahren werden, damit sie etwas frische Luft bekommen.

Faribas Asylgesuch kann leider nicht positiv entschieden werden, da sie keine beglaubigte Kopie ihres Todesurteils bei sich hat. Ich möchte nicht den Inhalt des ganzen Films erzählen, es gibt ihn als DVD, er ist unbedingt sehenswert. Nur so viel, die Frau kann durch den Selbstmord eines jungen Iraners dessen Identität annehmen, fortan ist sie ein Mann. Es gelingt ihr mit der fremden, allerdings nur vorübergehenden, Aufenthaltsgenehmigung doch noch die Einreise nach Deutschland, sie landet in der schwäbischen Tristesse eines Asylanten-Heims, arbeitet schwarz in einer Sauerkraut-Fabrik, um sich einen gefälschten Ausweis kaufen zu können, damit sie wieder Frau werden kann. Sie duscht aus Angst vor Entdeckung nur nachts, und für kurze Zeit glaubt sie sogar, dass eine neue Liebe mit einer deutschen Frau möglich ist.
So sehr ich mir auch ein Happy-End gewünscht habe, Frau Maccarone gönnt es mir nicht. Recht hat sie, denn die bundesrepublikanische Gegenwart sieht leider oft anders aus. Wir schieben Menschen ab, die in ihrer Heimat von Verfolgung, Folter, Tod bedroht sind, nur weil sie nicht über die entsprechenden Papiere verfügen, die dies belegen können. Richter und Polizeibeamte können sich dabei auf Gesetze berufen, sie können sich damit herausreden, dass sie nur Anweisungen befolgen. Und was sage ich? Dass ich davon nichts gewusst habe?

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