Gestern gab es Cherry Pie, als ich aus der Praxis kam. Ich habe so gefroren, da kam der warme Kuchen gerade richtig. Oft ist es eine Art innerer Kälte, die mich schlottern lässt. Ich fühle mich schon seit einiger Zeit dünnhäutiger und verletzlicher, als ich es ohnehin bin. Samstag sind mir nach den ersten Tönen die Tränen über die Wangen gelaufen. Goloka hatte mich ins 3OHA (könnte man russisch Zona lesen) eingeladen, wo er zum ersten Mal gesungen hat.

Er ist Hindu, sonst singt er vor allem im Tempel. Den Namen des Instruments, auf dem er sich selber begleitet, habe ich schon wieder vergessen. Man klappt es auf und zu, dabei entstehen wunderbare Töne. Manchmal hat er in der Vergangenheit schon für mich allein gesungen, aber es ist anders, ihm in einem Gewölbe mit guter Akustik inmitten anderer Menschen zuzuhören. Dieser gleichzeitig so zarten und so kraftvollen Stimme. Natürlich habe ich mir auch gleich vorgestellt, wie er wohl in unserem Mediraum klingen würde. Wir haben da schon länger nichts gemacht.

Wladimir Prib hat eine Mal- und Zeichenschule, früher hat er auch noch selber gemalt, mit seinem Freund Sergei Ivanov zusammen auch ausgestellt. Diesem Freund war der Abend eigentlich gewidmet, er gilt seit April 2017 als vermisst. Was das auch immer bedeutet. In seinen Bildern war er noch da, und Golokas Gebete (diese Gesänge sind eigentlich nichts Anderes) ergänzten sie in gewisser Weise. .

Wie Wladimir beim Tee erzählte, war auch schon jemand da, der den Koran gesungen hat.  Aus Gesängen und Bildern entsteht an diesen Abenden etwas Neues, zumindest habe ich die Idee so verstanden.

Später habe ich noch ein kleines Heft entdeckt, in das ich mich auf der Stelle verliebt habe. Interessant verpackt, es hat eine Weile gedauert, bis ich es als Ausstellungskatalog von 1996 identifiziert hatte. Bilder und Texte von Wladimir und Sergei. Wodka trinken auf den grünen Hügeln von Sari-Arka (fast auf den Höhen der Mandschurei), wo Dshambul seine Lieder zur Dombra sang und wilde Kirgisinnen auf ihren Dostarchanen um ihn herumtanzten, wo Dshigiten auf ihren Tulparen vorbeijagden, süßen Tschilim rauchend. Die Linie, die Erde und Himmel trennt, beschreibt den Raum zwischen dem Wort. Da  war ich weg.  Irgendwo 1001 Nacht entfernt.

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