Wahrscheinlich habe ich mich bei der Spanierin angesteckt. Seit gestern erkältet, schlapp, Schmerzen. Und anstatt zur Freundin ins Krankenhaus zu fahren, von dort weiter ins Babylon Mitte  – das Kino zeigt gerade alle Filme, für die  Wolfgang Kohlhaase das Drehbuch geschrieben hat – machte ich es mir in meinem Sessel gemütlich, trank unzählige Tassen Tee, heiße Zitrone, füllte  eine große Tüte mit gebrauchten Taschentüchern, und hatte plötzlich so viel Zeit.

Zeit für die Tagebücher von Brigitte Reimann. Die ich vor etlichen Jahren schon einmal mit großer Begeisterung gelesen habe, und die mich auch bei erneuter Lektüre gefangen nehmen. Diese Wucht. Dieser Hunger nach Leben. Das war es, was mich beim ersten Lesen vor allem beeindruckt hatte und was mich immer noch mit roten Ohren lesen lässt. Doch zusätzlich nehme ich jetzt viel mehr Details wahr, die das alltägliche Leben in der DDR betreffen. Und da wären die Filme von Kohlhaase bestimmt eine interessante Ergänzung.

Die Kader und Politiker, die Kunstschaffenden und die Verantwortlichen in den Betrieben, was für ein Zirkus. Die Genossen lassen bei den regelmäßig stattfindenden Besäufnissen die Sau raus, sonst sind sie nichts weiter als im vorauseilendem Gehorsam zu allem brav nickende Spießer. Wie erbärmlich. Jeder, der mit romantischem Blick das Leben in der DDR verklärt, sollte sich diese beiden dicken Bände gönnen.

Es ist dieses Authentische, das sich Offenbarende, das mich immer wieder in den Bann zieht. Daneben erscheinen mir viele andere Texte – meine eigenen eingeschlossen – oft merkwürdig blass. Und das liegt nicht daran, dass die anderen, dass ich nichts erlebt habe, es ist die Scheu, ehrlich zu sein, wirklich ehrlich zu schreiben. Nichts zurückzuhalten.

Dazu passt dann der Ausschnitt aus einem Interview, den ich vor einem Jahr in meinem lila Notizbuch festgehalten habe. Milena Moser hatte von der Frage einer Freundin erzählt, die von ihr wissen wollte, warum sie so viel von sich preis gibt. „Weil ich nichts anderes zu geben habe als mich selbst. Warum auch nicht? Ich bin doch kein kostbares Gut, dass es eifersüchtig zu hüten gilt. Ich bin nichts Besonderes. Meine Ängste, meine Zweifel sind die vieler Frauen – und wie sich herausstellt, auch die vieler Männer. Was mich von anderen unterscheidet ist nur, dass ich diese Dinge in Worte fasse.“

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