Nach langer Zeit morgens mal wieder eine Mail von Herrn W., der sich rar gemacht hat, und mir schreibt er dann, ich wäre irgendwie abhanden gekommen. So kann man es auch drehen. Aber wenn er mal schreibt, dann ist das so interessant, so inspirierend auch, dass ich meine übliche Routine in den Wind geschlagen habe, um schon am Vormittag nach Neukölln zu fahren. Dort läuft im WOLF noch der Film „Glücklich wie Lazzaro„, den W.  für den vielleicht besten Film des Jahres hält. Und ich halte eine Menge von seinen Einschätzungen.

Wie sich die Weserstraße verändert hat in den letzten zwanzig Jahren. Früher habe ich ganz gern dort gewohnt, aber das waren andere Zeiten. Und spätestens als aus der Kneipe gegenüber jeden Abend „Mein Dingeling, dein Dingeling“ gegrölt wurde, ist mir klar geworden, dass meine Zeit dort abgelaufen war. Zumal ich etwas Abstand brauchte von dem Mann, von dem ich mich nach zwei Jahren Nervenkrieg endlich getrennt hatte. Und dann natürlich diese Sehnsucht nach Grün und Garten, nach einem Ort, an dem ich mich zu Hause fühle.  An all das habe ich mich gestern wieder erinnert.

Ist es ein Erfolg, dass ich jetzt, zwanzig Jahre später, nach vier oder fünf Monaten erkenne, wenn ich in einer Beziehung mich und meine Bedürfnisse aus den Augen verloren habe? Oder ist es eher so, wie ich gestern Abend dann tatsächlich mit Herrn W. bei einem Glas Wein überlegte, dass wir zu jenen gehören, denen es aufgrund ihrer Disposition nicht möglich ist, in einer Beziehung zu sein, wie sie für die meisten Menschen erstrebenswert oder wenigstens okay ist? Leichter wird es mit den Jahren nicht, und viel mehr über die Liebe wissen wir auch nicht, was wir im Alter vielleicht nur eher zugeben können.

Nach diesem Film gestern bin ich jedenfalls aus dem Kino gestolpert, bin völlig konfus durch die belebten Straßen gerannt, blind für alle und alles. Und das hatte nicht nur damit zu tun, dass ich eine Toilette suchte. Ich hatte schon während des Films überlegt, ob ich das Kino verlasse. Nicht, weil es ein schlechter Film wäre, im Gegenteil, aber es ist mir so schwer gefallen, das alles auszuhalten. Zu sehen, wie ein argloser Mensch, der den Unterschied zwischen Gut und Böse nicht zu kennen scheint, von anderen behandelt wird, sich behandeln lässt. Ist das ironisch gemeint, mit dem „glücklich wie“? Ich finde es gut, wenn Menschen merken, wenn man sie ausbeutet, sich über sie lustig macht, und wenn sie sich dagegen wehren. Starker Tobak, dieser Film. Und beglückt hat er mich ganz sicher nicht.

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