In Hamburg kann man Feste feiern. Dort gibt es engagierte Menschen, Pastoren z. B., Gemeindemitglieder, den Literarischen Hafenclub nicht zu vergessen, die Kultur und Kirche zusammen bringen. Und das heißt bei denen nicht Orgelspiel um Mitternacht. Während sich auf der Festmeile anlässlich des 18. Jahrestages der Deutschen Einheit in der HafenCity Besucherströme an den Ständen und Pavillons der verschiedenen Bundesländer vorbei schoben, wurde ein paar Hundert Meter weiter in der St. Katharinen-Kirche an die Menschen erinnert, die mit ihren Worten und Taten die friedliche Revolution vorbereitet haben.

Es gab Konzerte, Lesungen, Diskussionen, nächtliche Gänge mit Kerzen, eine Ausstellung. Junge Menschen aus Lettland, Litauen, Ungarn und Russland, die man für ein paar Tage nach Hamburg eingeladen hatte, sammelten in Workshops zusammen mit Jugendlichen aus Deutschland Ideen für eine europäische Union.

Während die einen deutsche Einheitssuppe löffelten, diskutierten Bürgerrechtler und Zeitzeugen wie Erich Loest oder Wolfgang Templin darüber, ob Bürgerbeteiligung und Demokratie auch zukünftig eine Chance haben oder ob sie Schnee von gestern sind. Während in der Speicherstadt zu bayrischen Klängen Leberkäs und Weißwürste verdrückt wurden, gingen andere in die Kirche, um sich den Debüt-Film von Andreas Dresen anzusehen, in dem in einem Provinztheater alle auf Godot warten und am Ende die Berliner Mauer fällt. Während am Zollkanal die Menschen miteinander ins Gespräch kamen (Er: Sieh mal Schatz, die Deutschlandfahne auf dem Schiff. Das muss ich unbedingt fotografieren. Passantin: Heul doch!), ließen sich andere von einer Blues-Messe mitreißen, wie es sie zu DDR Zeiten als Zeichen des Widerstandes in der Samariterkirche in Ost-Berlin gegeben hatte.

Ich gestehe, vorher habe ich gedacht, das ist doch alles zu viel. Dieses Konservieren, diese Heldenverehrung. Wozu soll das gut sein? Muss ich wirklich jedes Jahr aufs Neue an die Montagsdemonstrationen erinnert werden? Und wieso soll ich mir noch eine Ausstellung über Robert Havemann ansehen? Die Hamburger haben diese Frage in ihrem Flyer beantwortet. Man muss „an die zivilgesellschaftliche Meisterleistung der friedlichen Revolution……..erinnern und sie für Gegenwart und Zukunft fruchtbar machen.“

Recht haben sie. Es waren viele, die in der Summe ihrer Taten dazu beigetragen haben, dass in Berlin die Mauer gefallen ist. Lange vor den großen Demonstrationen gab es so genannte Staatsfeinde, gab es Kritiker, bekannte und weniger bekannte Menschen, die ihre Stimme erhoben und auch keine Angst davor hatten, für ihre Überzeugungen ins Gefängnis zu gehen.

Auch heute brauchen wir mutige Menschen. Jede Gesellschaft braucht sie. In Georgien, in Russland, das leuchtet einem noch ein. Aber wir? Wir leben doch in einer Demokratie, da wird schon alles seinen demokratischen Gang gehen. Es wird sich schon jemand darum kümmern, dass die Krankenkassen ihre Beiträge nicht überproportional erhöhen, dass Banken und Versicherungen keine krummen Geschäfte machen sondern auf unser Geld aufpassen, dass jemand aufsteht, wenn die junge Punkerin im Bus von Neonazis belästigt wird.

Und wenn niemand da ist, der diese unangenehmen Jobs tun will? Dann muss man selber handeln, muss mutig sein und über den eigenen Schatten springen. Manchmal muss man dafür sogar mutig genug sein, die eigenen Überzeugungen in Frage zu stellen.

2 Kommentare

  1. geschrieben am 11. Oktober 2008 um 17:20 Uhr| Permalink

    Liebe Frieda Fengler!

    Im Namen der Menschen, die sich in St. Katharinen für diese Tage engagiert haben – mit so mancher Nachtschicht vor und während des Tages der Deutschen Einheit – sage ich Dank und füge den Kommentar von Prof. Dieter Rucht bei, eines der Diskussionsteilnehmer vom Samstagmorgen, der daran erinnert, dass zum Genießen von Freiheit und Menschenwürde auch das Recht und die Aufgabe gehört, dass wir uns Frechheit, Widerständigkeit und Kampfesmut und in alledem Humor nicht abgewöhnen lassen dürfen!

    Beste Grüße vom Pastor aus St. Katharinen, Frank Engelbrecht

    Dieter Rucht zur Zukunft unserer demokratie: „Die ursprünglichen Ziele der friedlichen Revolution vom Herbst 1989 sind eingelöst, was eine Reihe elementarer Freiheitsrechte angeht. Das ist gewiss nicht wenig. Aber es gab und gibt auch Hoffnungen, die bislang unerfüllt geblieben sind. „Wir können jetzt zwar alles sagen, aber keiner hört uns zu“, klagten resignierend Vertreter der ehemaligen Bürgerrechtsbewegung. Und die Radikaldemokraten im Westen fragten vergeblich, wo denn die neue und wahrhafte gesamtdeutsche Verfassung bleibe, die das repräsentativ-demokratische System mit direktdemokratischen Elementen hätte anreichern können.
    Wer im Stimmengewirr öffentlicher Meinungen, wer im Gedränge der Interessenvertreter nicht untergehen will, muss seinen Platz behaupten. Nur wenn sich Bürgerinnen und Bürger zusammentun, wenn sie die Einmischung, den Streit, die Erzeugung von politischem Druck nicht scheuen, können sie Verhältnissen entkommen, in denen sie verwaltet, bevormundet, beherrscht werden. Und nur in dem Maße wie dies geschieht, verwirklicht sich Demokratie als eine zwar komplizierte, aber dem Verlangen nach Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit entgegen kommende Form des Staates wie des zivilgesellschaftlichen Lebens.
    So wie die bestehenden politischen und sozialen Rechte erst erkämpft werden mussten, so muss auch ihr Bestand durch bürgerschaftliches Engagement gesichert werden, müssen darüber hinausgehende Rechte und Ansprüche erst erkämpft werden. Verträglich und förderlich ist allerdings nur ein Kampf, der in Form und Inhalt vom Prinzip der „Anerkennung des Anderen“ geleitet ist. Dieses Prinzip zu predigen ist eine Sache, es vorzuleben eine andere.“

  2. geschrieben am 15. September 2009 um 10:36 Uhr| Permalink

    Schöne Grüße aus der Kirchstr., Tiergarten. Ich möchte Dich gerne zu meiner Finissage „Tango“ einladen. Am Sonntag, den 20. 9.2009 ab 17.00 Uhr im Offenem Atelier in der Kirchstr.4.
    Ich würde mich freuen Dich wiederzusehen.

    Habe hier auf Deiner Website Deine email nicht gefunden. Deshalb schreibe ich ‚Dir auf diesem Weg.
    bis bald. Sonja

1 Trackback

  1. […] Den Artikel dazu, gibts nebenan bei Frieda! […]

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