brauchen eine Weile, bis sie merken, dass ich wieder da bin bzw. dass da wieder Futter ist. Der Schnee sitzt auf den Zweigen, auf dem Dach gegenüber, die Sonne erwärmt den Holzfußboden in meinem Zimmer. Unser Spaziergang führte den Hausmann und mich gestern nicht an den See, wir vermuteten Heerscharen dort, sondern Richtung Wannsee, Havel und Großes Fenster. Viel weniger los war da aber auch nicht. Die Berliner haben in der Corona-Zeit die Natur für sich entdeckt. Um im Wald Ruhe zu finden, da muss man in die Provinz.

Auch lesen kann man dort gut, aber natürlich lese ich auch sehr gerne in meinem eigenen Bett. Da passt dann dieses blöde „sehr gerne“ mal. Neulich dachte ich noch, Dag Solstads Roman „16.7.41“ (sein Geburtsdatum) würde mich womöglich langweilen, nun wandere ich neugierig mit ihm durch das Berlin des Jahres 2000. Da wohnte der Autor am Maybachufer, sozusagen um die Ecke von der Wohnung, die ich 2 Jahre zuvor für die WG verlassen hatte.

Er erläuft sich nicht nur meinen alten Kiez, er läuft und fährt durch halb Berlin und erweist sich dabei nicht nur als historisch belesen, sondern auch als neugieriger Beobachter der Stadt, die damals noch nicht den Stempel „arm aber sexy“ trug, aber es schon war.

Ich liebe ihn für Sätze wie „Am Ton hört man, wer ich bin. Ein Ossi. Kein Wessi, das will ich gern mal dartun.“ Damit meint er nicht die deutsche Sprache, die er nicht beherrscht, auch nie beherrschen wird, wie er wohl richtig vermutet hatte, sondern die Art seines darüber Schreibens.

Gerade eben bin ich mit dem Autor in der Straßenbahn nach Berlin Marzahn gefahren und ihm in eine Bar gefolgt, in der er sich eigentlich nur kurz vor dem Regen schützen will. Doch dann beobachtet er einen Mann, der immer wieder erfolglos Markstücke in den einzigen vorhandenen Spielautomaten steckt. Dieses Tun fasziniert ihn so sehr, dass er nach einer halben Stunde dem Mann 100 Mark schenkt. (Der Autor bekommt eine steuerfreie Jahresrente vom norwegischen König, nur mal so nebenbei, eine großzügige, wie ich vermute.) Der ist zwar erst ein wenig verblüfft über diesen seltsamen Ausländer, dann macht er aber einfach weiter. Als er die ersten 20 Mark von den 100 verspielt hat, verlässt mein Autor still und unauffällig die Bar. Und ich möchte sofort nach Marzahn fahren, dort einen Zettel aufhängen und um ein Interview bitten. „Hat hier jemand vor 20 Jahren von einem Ausländer 100 Mark geschenkt bekommen? Bitte melden Sie sich.“

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