Auch in Bresewitz ist Weihnachten vorbei. Das Menü wurde verzehrt und für gut befunden, die Bücher mit Spannung ausgepackt, keiner hat eins bekommen, das er schon besitzt. Der Mann hat mir das neue Buch von Julie Zeh geschenkt, dazu Erzählungen von Margaret Atwood. Frau Zeh hat mich sofort gepackt, ich habe das Buch in zwei Tagen verschlungen.

Kaskaden von Wörtern, Bildern, Ideen. Ein Krimi, eine Erklärung über das Wesen der Zeit, ein philosophischer Exkurs, alles in einem Buch, das nach dem ermittelnden Kommissar „Schilf“ heißt. Allerdings werde ich es noch einmal lesen müssen, da ich von den physikalischen Erklärungen nur die Hälfte verstanden habe. Aber wenn es stimmt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass beim Urknall ein Universum wie das unsere entsteht bei 10 hoch minus 59 lag, dann habe ich schon jetzt genug Stoff zum Nachdenken. Bisschen viel Zufall für mein Gefühl.
Der eine der beiden Physiker, um die es in dem Buch geht, erklärt ein Viele-Welten-Modell. Nach dieser Theorie ist nicht nur ein Universum entstanden, sondern 10 hoch minus 59. Diese Idee, egal ob sie nun stimmt oder nicht, gefällt mir besser. In dem einen Universum lebe ich in Berlin, in dem anderen hier in Bresewitz. Und je nach Lust und Laune kann ich zwischen den beiden hin und her springen.

In Bresewitz blinkt noch immer der Baum zwischen den Schienen, und unsere kleine geschmückte Tanne besitzt noch alle Nadeln. Wenn man nachts nicht schlafen kann, sieht man, dass der Leuchtturm von Prerow Flecken auf die Dachschrägen malt. Zu hören ist nichts. Nur das Knacken der Dielen, ein kleiner Wind vor dem geöffneten Fenster. Stille im Haus, über den Wiesen, dem Bodden. Der unruhige Geist kann sich entspannen, der Prozess der Entschleunigung ist in vollem Gange.

Gestern waren wir in Prerow am Strand, den Kaffee gab es in Ahrenshoop, das Nachtmahl in Zingst. Schön kann man diesen Ort nicht nennen. Viele leer stehende Häuser, die auf den Sommer und Touristen warten, breit gepflasterte Straßen, auf denen sich mit Sicherheit niemals auch nur ein winziges grünes Hälmchen zeigen wird. Das Areal rund um die Seebrücke fest in Steigenberger Hand.

Ich habe schon oft überlegt, ob die Menschen den Preis kennen, den sie zahlen müssen, wenn sie ihre Dörfer großen Hotels überlassen. Ob ihnen bewusst ist, dass sie nicht nur einen Teil ihres Ortes sondern auch seiner Seele verkaufen. Aber vielleicht merken die Gäste in den neuen Häusern nicht, dass etwas fehlt. Vielleicht sind sie glücklich in den den Zimmern, die pro Nacht 300 oder 400 Euro kosten. Auch ein Paralleluniversum.

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