hatte ich dem Syrer noch schnell eine Nachricht geschickt. Dass sich unsere verabredete Uhrzeit auf die MEZ bezieht, also nicht auf arabische Zeit. Eine halbe Stunde zuvor hatte ich dem Iraker und der Thailänderin das deutsche Prinzip der „Schnittchen“ erklärt, die man abends bei einem eher zwanglosen Beisammensein reichen kann, für das es bei ihnen zu Hause keine Entsprechungen gibt. Dann hatte mir der Iraker noch erzählt, dass es in seiner Heimat völlig normal ist, wenn man eine Stunde später erscheint als versprochen, das ist kein Klischee, ich wollte also sichergehen. Was bei unserem syrischen Freund natürlich überflüssig ist. Fast auf die Minute genau stand er vor der Tür.

Wir haben uns schon wieder ein paar Wochen nicht gesehen, immer kommt er mir größer vor als beim letzten Mal. Gestern wollte er uns natürlich auch seine Schwester vorstellen, die gerade mal seit einer Woche in Berlin, in Deutschland ist. Ich stelle mir das gar nicht einfach vor, aber die junge Frau schien mir heiter und entspannt. Wahrscheinlich wird sie in einem halben Jahr so schnell deutsch sprechen wir ihr großer Bruder, der wieder wie ein Wasserfall geredet hat. Was haben wir damals über ihn gelacht, als er diese Redewendung an jedem von uns ausprobierte. Als er für B2 lernte. Und nun ist er Lehrer, nächste Woche tritt er seine erste Vollzeitstelle an einer Oberschule an. Mathe/Physik. Herzlichen Glückwunsch.

Alle hatten sich versammelt, das ist bei uns ja eher selten. Sogar die Spanierin drehte auf, dabei war sie nicht gerade fit, sie hatte die letzte von fünf Nachtschichten vor sich. Und der Iraker, der letztes Jahr noch schweigend bei uns gesessen hatte, den der Syrer mit seiner zupackenden Art und seinem „Ey du, Araber, komm her!“ wohl ein wenig eingeschüchtert hatte, gestern erzählte und sprudelte er, keine Spur von Scheu. Sie haben alle an Selbstbewusstsein gewonnen, und natürlich hat das auch mit ihren Jobs zu tun, mit der Anerkennung, die sie dadurch bekommen. Ich habe sie alle manchmal so gern, dann könnte ich sie nacheinander knuddeln. Mache ich natürlich nicht. Eher denke ich, ja, ihr werdet euren Weg gehen, und ich werde das weiterhin sehr interessiert und manchmal auch mit einer kleinen Träne im Augenwinkel verfolgen.

Einen Kommentar schreiben

Ihre Daten werden niemals an Andere weiter gegeben.
Die Email-Adresse wird nicht angezeigt. Notwendige Felder sind so markiert: *

*
*