Trotz Schneeregens und Kälte sind viele Menschen unterwegs, die S-Bahn ist voll. Ich überlege, ob sie alle zum Friedrichstadtpalast wollen. Eigentlich hatte ich die Absicht, mir die Details des Innenausbaus genauer anzusehen, die Galerien und großen Fenster, doch dann ist es schon spät, ich gebe noch schnell meine Jacke ab, und ehe ich mich versehen kann, sitze ich im Parkett links inmitten erwartungsvoller Berliner und zugereister Berlinale-Gäste.

Es werden noch schnell belegte Brote, Brötchen, Kaffee und Saft ausgepackt, offensichtlich war für manche die Zeit zu Hause für ein Frühstück zu knapp. Gemütlich ist es nicht, die Sitzreihen sind eng, die Stühle hart, außen hui, innen pfui, würde meine Oma zu der Bestuhlung aus dem vorigen Jahrhundert sagen. Obwohl ich nicht sehr groß bin, stoße ich mit den Knien an den Sitz des Vordermannes. Und so soll ich 90 Minuten überstehen? Ohne mich rühren zu können? Da muss der Film aber sehr gut sein.

Bevor es losgeht, habe ich noch Zeit, mich ein wenig mit meinem Nebenmann zu unterhalten. Das ist das erstaunliche an diesen Tagen. Man redet völlig ungezwungen mit den Nachbarn links und rechts, man tauscht Ansichten und Meinungen aus, holt sich Anregungen und Tipps, und am Ende erzählt man sich mit Tränen in den Augen, welche Szene einen besonders berührt hat.

In dem Film „London River“ von Rachid Bouchareb gibt es einige. Man kann aber auch wie in meinem Fall zugeben, dass man der Hauptdarstellerin Brenda Blethyn (bekannt u. a. aus Grasgeflüster, Little Voice) nach den ersten dreißig Minuten am liebsten den Hals umgedreht hätte. Sie war in der Figur der Mrs. Sommers so überzeugend, ich habe sie gehasst. Wenn jemand eine Engländerin mit verkniffenem Mund spielen kann, eine unsympathische, selbstgefällige Frau, die erst durch Leid und Sorge ihre Vorurteile überwinden kann, dann Brenda Blethyn.

In dem Film begegnen sich die weiße Protestantin Mrs. Sommers und der schwarze Muslim Ousmane. Sie kommt von der idyllischen Insel Guernsey nach London, er aus Frankreich. Beide sorgen sich um ihre Kinder, von denen es nach den Anschlägen vom 7. Juli 2005 keine Lebenszeichen gibt. Was beide bis dahin nicht wissen – Ousmane weiß von seinem Sohn sowieso so gut wie nichts, er hat seine Familie und Afrika verlassen, als der Junge gerade mal sechs war – dass die weiße junge Frau und der schwarze junge Mann ein Paar sind und seit zwei Wochen sogar zusammenleben.

Wie es zu einer zaghaften Annäherung zwischen den Eltern kommt, die anfänglich schnell bereit sind, dem Menschen aus der anderen Kultur die Schuld an allem möglichen zu geben, wie vor allem Mrs. Sommers ihre Vorurteile überwindet, das zeigt der Film auf berührende Weise. Und das ist dann auch der kleine Hoffnungsschimmer, der dem Zuschauer geschenkt wird. Sehr sehenswert.

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