stand ich kurz vor einem Mord. Es war mir nur nicht ganz klar, wer dran glauben müsste. Als ich nach Hause kam, saßen drei junge Männer in der Küche, einer stand am Herd und kochte. Das waren definitiv nicht die Belgier, die waren nämlich schon wieder ausgezogen. Woher diese jungen Männer nun kamen, Ost-Europa ist groß, sie haben es mir nicht verraten, sie haben so getan, als wäre ich Luft. Nach zwei Stunden waren sie dann wieder fort, dafür tauchte mein russischer Host Sergey mit drei neuen Männern auf. Zwei Serben, ein Montenegriner. Sie hätten noch mehr mit mir geredet, aber die Sprache. Egal. Ich habe meinen letzten Wein mit ihnen geteilt und ein neues Wort gelernt – Živeli, was auf serbisch so viel wie Prost bedeutet – bevor ich in meinem Zimmer verschwunden bin.

Das waren drei ruhige Menschen, die heute Morgen schon in aller Frühe die Wohnung verlassen haben. Vielleicht sind sie auf der Durchreise, vielleicht sehe ich sie wieder. Und dann schien die Sonne, alles leuchtete mal wieder, ich hatte den Balkon für mich allein, und die Erkenntnis, dass sogar die Menschen aus der Nachbarwohnung unser Bad benutzen, konnte mich nicht mehr aufregen. Stattdessen fühlte ich mich so friedlich, dass ich mich mit Sergey wieder vertragen habe, dem ich gestern ziemlich zugesetzt hatte. Ich habe das Wort „vertragen“ nicht benutzt, ich habe stattdessen das kleine Gastgeschenk hervorgeholt, das ich in Berlin besorgt hatte. Für jeden in seiner Familie – sie sind zu viert – ein Alulesezeichen mit Berlin-Motiven. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich so über den berühmten Bruderkuss freuen würde. Vielleicht werden wir Freunde. 

Und dann habe ich einen wunderbaren Tag im Tivoli Park verbracht. Das ist der größte Park in Ljubljana, es gibt verschiedene Teile, von gestylt und gepflegt bis wild und steil, sogar zwei Sprungschanzen kann man entdecken. Meist hatte ich die Wege, die wunderbaren Aussichten für mich allein, aber nach einer der vielen Kurven, ich wollte auf diesen blöden Berg, schnappte längst nach Luft und war immer noch nicht oben angekommen, da stand plötzlich ein Mann vor mir auf dem schmalen Waldweg. Lesend. Blaue Schlabberstrickjacke, weite schwarze Stoffhose, die über dem Knöchel endete, längere graue Haare, Brille, ein offenes, sehr freundliches Gesicht. Ich hätte mich über eine Geige nicht gewundert, aber er las ja nun. Ein paar Meter von ihm entfernt stand älteres Klapprad, offensichtlich war er hier hoch gefahren. Um zu lesen?

Als ich vom Gipfel (300 oder 400 Meter, nicht viel eigentlich) wieder herunter kam, stand er immer noch dort. Und dann habe ich meiner Bewunderung Ausdruck verliehen, dass er diese Steigung mit dem Rad nimmt. So kamen wir ins Gespräch. Er liebt die saubere Luft dort oben, deswegen fährt er hoch und liest. Im Stehen. Als er erfuhr, dass ich als nächstes nach Piran fahre, fing er gleich an zu schwärmen. Eine Stadt wie Venedig, nur kleiner, und früher gehörte sie auch zu Venedig. Er erzählte mir auch von dem berühmten Geiger Tartini – ich werde in Piran gleich am Tartini-Platz wohnen – der im 18. Jahrhundert besondere Töne entdeckt und sich mit den Mathematikern verkracht hatte, die nicht an solche Töne glaubten. Ich hätte gern noch länger mit ihm geredet, wenn ich nicht dringend mal ins Gebüsch gemusst hätte. Schön. Das war schön heute.

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