Wir haben uns vor meinem Dienst im Café verabredet. Im Café mit dem durchsichtigen Dach, die Bühne direkt gegenüber. Das kann man eigentlich nicht verfehlen. Ich bin froh, in dem Gewusel noch drei Plätze ergattern zu können, die müssen verteidigt werden, und dann warte ich. Die Eltern kommen nicht. Natürlich gehen sie auch nicht ans Handy. Wahrscheinlich liegt es zu Hause. Nach zwanzig Minuten Auftritt Vater. Wo bist du denn? Deine Mutter! Aber die weiß ja immer alles besser. Ich habe gleich gesagt, dass die Pizzeria verkehrt ist. Du hattest ja Café gesagt. Ja. Hatte ich.

In der Pizzeria zeigt sich meine Mutter reumütig. Ungefähr fünf Sekunden lang. Dann geht es los. Möchtest du etwas essen? Du bist so dünn geworden Kind (Kind!). Willst du einen Cappuccino? Oder lieber einen Kakao? Herr Ober? Für mich einen Glühwein. Nun iss doch was. Du kannst dich doch nicht nur von Broten ernähren. Was für Suppen sollen das denn sein? Du musst mir unbedingt noch sagen, was ich Weihnachten kochen soll. Ich richte mich da voll nach dir. Was heißt denn hier so wie immer? Kassler mit Kartoffelsalat? Ich hatte an Gänsebraten und Klöße gedacht, damit du wenigstens an einem Tag was weihnachtliches kriegst. Und wenn du im Zug sitzt, dann musst du gleich anrufen, damit E. dich abholen kann.

Noch sitze ich in der Pizzeria, aber meine Mutter ist mit ihren Gedanken mit mehreren anderen Projekten beschäftigt. Da sie schon seit zwei Stunden auf dem Weihnachtsmarkt ist, war sie natürlich auch schon an unserem Stand. Arbeitet bei ihnen eine N.? Wenn ja, ich bin die Mutter. Darf ich mich mal umsehen? Tolle Sachen habt ihr da, sagt sie jetzt. Das muss ich mir unbedingt noch einmal genauer betrachten. Da war so eine Kette. Und die Ohrringe, also E., die haben dir doch auch gefallen, oder? Sag doch mal was, also, er hört von Tag zu Tag schlechter. Deswegen ja auch das Handy nicht.

Eine halbe Stunde später läuft sie dann zu Hochform auf. Erst jammert sie allerdings ausgiebig, weil sie sich aus den vielen Schichten schälen soll, die sie angesichts der Wetterlage trägt, damit sie die festliche Jacke anprobieren kann, die ihr die Kollegin zurück gelegt hat. Diese kleine Jacke hatte ihr an mir so gut gefallen, dass sie nun auch eine haben möchte.
Also zeigt sie sich einsichtig, zieht sich aus, die Jacke an, und dabei plaudert sie nach allen Seiten. Mit der Kollegin, mit anderen Kunden, mit mir, außerdem behält sie den Vater im Auge, der gerne mal verschwindet, probiert noch schnell ein paar Mützen auf, und am Ende sind alle froh. Meine Mutter, weil sie ihre Jacke hat, die Kollegin, weil sie neben einem kleinen Trinkgeld noch ein paar andere Kleinigkeiten los geworden ist, auch ich bin eine gute Kundin, und dann hätten wir uns zum Abschied alle beinahe umarmt.

Später überlege ich, ob ich meine Fähigkeit zur Kommunikation und meine Freude daran wohl von meiner Mutter geerbt habe. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Immer nur über die Seiten an mir, die mir nicht so angenehm sind. Die ich natürlich von ihr habe. Dann hat sie mir wohl auch die Energie vererbt, die mich manchmal erschöpft, wenn ich ihr ein paar Stunden lang ausgesetzt bin. So wie ich vielleicht andere erschöpfe, wenn ich aufdrehe. Wenn ich vor größeren Zusammenkünften in Panik gerate und wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her. Dabei behaupte ich genau wie meine Mutter seit Jahren, dass ich mich nach Ruhe sehne. Nach Stille. Zeiten, die ich mir verordnen muss, weil ich das immer wieder vergesse. In diesem Sinne. Klappe zu.

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