Das Stimmengewirr scheint sich nicht beruhigen zu wollen. Da braucht es erst einen lauten Pfiff, damit sich jeder einen Platz sucht. Der Bräutigam lacht, aber eigentlich möchte er etwas sagen. Er ist sichtlich bewegt. Am Morgen hat ihn sein Sohn angerufen. Ob sie denn trotzdem feiern würden. Als er gestern Abend mit seiner frisch angetrauten Frau zu Bett gegangen ist, erschöpft, glücklich, da wussten sie von acht Toten. Heute weiß man, dass es mehr als 100 sind.  Und da wäre die Frage nach der Feier natürlich berechtigt.

Stimmt. Sagt meine Tischnachbarin, die mich einfach neben sich auf einen Stuhl gezogen hat. Vor vielen Jahren haben wir versucht, Freundinnen zu werden – wir hatten uns gegenseitig als große Lesende erkannt -,  so richtig  geklappt hat das aber nicht, doch ich freue mich stets, wenn wir uns unverhofft begegnen. Und ich beneide sie auch gleich wieder um ihre Fähigkeit, einfach so draufloszureden, jeden anzusprechen, der vor ihr auftaucht. Das habe ich nämlich auch heute schon wieder beobachtet.

Kann man feiern, wenn gerade wieder ein schrecklicher Terrorakt die Welt erschüttert? Ja, sagt der Bräutigam. Das können und das sollen wir auch. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen. Und dann trinken wir auf das Paar, die ältere Schwester hält eine kleine Rede, ein Freund spielt Akkordeon, dann singt er einen Text von Ödön von Horvath, richtig gut macht er das, aber er ist auch ein Profi, wie er später auf Nachfrage berichtet.

Ich esse, trinke, tanze, unterhalte mich sogar mit einigen anderen Gästen. Allerdings kann ich das Fest nicht so richtig genießen. Und das hat nichts mit den Irren vom IS zu tun. Mein Ohr tut immer noch weh, und dieses Gefühl, irgendwie fremd zu sein, das mich häufig in solch großen Runden überkommt, kann ich auch nicht abschütteln.  Aber immerhin bin ich gekommen, eine Stunde zu früh sogar, ich weiß nicht, wo ich manchmal meinen Kopf habe bzw. wofür, und deswegen verabschiede ich mich mit gutem Gewissen nach vier Stunden wieder. Das letzte, was ich höre, ist eine Stimme aus einer Gruppe junger Leute. „Jetzt, wo die ganzen Alten auf die Tanzfläche gehen, können wir auch kickern.“

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