Ein anderes Bett mal wieder. Eine andere Atmosphäre. Eine sehr angenehme sogar. Ich bin gern im Nachbardorf. Genieße die großzügigen Räume. Die Helligkeit. Die geschmackvolle Einrichtung. Nur nachts knackt es ständig. Und trampelt da nicht jemand? Der Hund im Notfall bestimmt kein Held. Trotzdem schlief ich. Was so erstaunlich nun auch nicht ist, immerhin hatte ich die beiden Nächte davor schon wieder wenig bzw. gar nicht geschlafen.

Die Katze möchte sich jetzt ständig auf mich drauf setzen. Sogar aufs Klo folgt sie mir, sie öffnet die Tür mit der Pfote. Ein Fall von Resonanz vielleicht. Eine Verrückte erkennt die andere. Und ein wenig verrückt werde ich auf den jungen Mann wohl gewirkt haben, der mich gestern aus dem Bett geklingelt hatte. Erst war es mir nicht gleich gelungen, die Haustür zu öffnen, dann schwankte ich, kein Wunder, ich schlief ja noch, das Haar stand wirr in alle Richtungen, der Bademantel offen. Dabei wollte der junge Mann nur die ZEIT abgeben, die nicht mehr in den Briefkasten passte. Bei uns wird die nie morgens um 6.16 Uhr geliefert.

Später traf ich beim Hundespaziergang eine alte Dame, an die ich immer noch denken muss. Sie war mir aufgefallen, weil sie quer über den Bürgersteig schwankte, sich an einem Auto festhielt, mit sich selbst redete. Und dann war sie plötzlich auf die Straße gestolpert, wo sie auch unbedingt bleiben wollte. Weil sie nämlich zur Bank müsste. Es gäbe so viel zu klären.

Es dauerte eine Weile und gute Worte, bis sie mit mir zurück auf den Bürgersteig kam. Eine wirklich alte Dame, 88 immerhin, wie sie mir erzählte. Selbst nachdem sie sich bei mir eingehakt hatte, ruderte sie alle paar Meter mit dem anderen Arm und rief dabei „Achtung, hier komme ich“. Offensichtlich kann sie Schemen erkennen, aber nicht mehr abschätzen, wie viel Platz andere brauchen.

Sie muss nahezu blind sein. Auch ein wenig desorientiert. Und es gibt niemanden, der sich um sie kümmert. Das haben zumindest meine Fragen ergeben. Die Kinder im Ausland, NY, wenn sie sich richtig erinnert, und ihr Liebhaber – sie sagte tatsächlich Liebhaber, ein wenig kokett – seit Wochen im Krankenhaus. „Aber kommt denn wenigstens mal jemand vorbei und hilft ihnen im Haushalt?“ „Nö. Kommt keiner. Das sieht man jetzt aber auch.“ Der Humor noch da. Ein Wunder eigentlich.

Ich hatte sie dann zur Bank begleitet. Eigentlich wollte sie das nicht, aber sie hätte noch zwei Straßen überqueren müssen, und ich war mir sicher, dass sie das nicht unfallfrei schaffen würde.  Irgendwann merkte ich, dass sie meinen Arm auch angenehm fand. „Wo ist denn ihr Hund?“ „Der läuft da vorn.“ „Ach ja, da ist er.“ Sagte sie und schaute in die andere Richtung.

Bei der Bank kennt man sie und weiß um die Zustände. Zumindest sagte mir das der Filialleiter, der ihr als erster in den Arm gelaufen war und der sich nicht schnell genug verdrücken konnte. Gesichter erzählen ja einiges. Ein trauriger Fall. Sicherlich. Aber was soll man tun? Er könnte da auch nichts machen. Wenigstens hatte er mir versprochen, der Frau später ein Taxi zu rufen. Vielleicht hätte ich sie nach ihrem Namen und Adresse fragen sollen. Das ist mir aber erst eingefallen, als ich wieder zu Hause war.

Alt werden wollen doch die meisten. Möglichst bei guter Gesundheit. Auf alle Fälle im Vollbesitz unserer geistigen Kräfte. Jedenfalls ich hoffe das. Und weiter hoffe ich, dass ich später einmal in der Lage bin, um Hilfe zu bitten, wenn ich Hilfe brauche. Sollte mein Geist sich langsam verabschieden, dann wäre es schön, wenn eine meiner jüngeren Freundinnen den Ernst der Lage erkennt und Maßnahmen einleitet. Aber welche?

Einen Kommentar schreiben

Ihre Daten werden niemals an Andere weiter gegeben.
Die Email-Adresse wird nicht angezeigt. Notwendige Felder sind so markiert: *

*
*