Am Marx-Engels-Platz. Ich find es nicht. Abends geht das Telefon. Du sprichst. Du! Jedes Jahr dasselbe am Tag der Arbeit. Ich werde wach, habe dieses Lied im Kopf, lege Manfred Krug auf, singe alles mit, was geht. Meine Oma behauptete früher, wenn die Kommunisten marschieren, wäre das Wetter schön. Sie hat es halb bewundernd, halb verärgert festgestellt. Jetzt regnet es, was sie wohl dazu sagen würde?

Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wie es damals war, als wir zur großen Parade antreten mussten. Ob ich auch eine Fahne geschwenkt habe? Wahrscheinlich. Ich wollte dazu gehören. Wollte sein wie die anderen. Mein Großvater hatte mir bis zur dritten Klasse verboten, Pionier zu werden. Seine Begründung fand ich völlig absurd. Er hätte das alles schon einmal gesehen. Pimpfe und Jungvolk. Man wüsste ja, was daraus geworden ist. Das dürfte ich nicht mitmachen. Als ob wir in der DDR etwas mit den Nationalsozialisten gemeinsam hätten. Wir waren doch die, die mit dem Faschismus aufgeräumt hatten. Wir waren die Guten. Das habe ich als Kind geglaubt. Allerdings kollidierte mein Glauben ein wenig mit der Tatsache, dass an der Grenze Menschen erschossen wurden, wenn sie das Land der Guten verlassen wollten.

Das Thema Zugehörigkeit begleitet mich, seit ich denken kann. Auch ich möchte mit meinen Sehnsüchten, meinen Wünschen und Träumen nicht allein sein. Ich hätte gern eine Gruppe, der ich mich nah fühle. Gleichzeitig ist etwas in mir, dass mir ein solches Erleben erschwert oder unmöglich macht. Der Aufruf zu einer gemeinsamen Meditation erschrickt mich eher als dass er mich erfreut.

Bis vor wenigen Jahren hatte ich Alpträume wegen meines offensichtlichen Mankos. Einmal träumte ich von zwanzig oder dreißig blonden Frauen, die offensichtlich alle zu einer Familie gehörten, und die ich aus der Ferne dabei beobachtete, wie sie miteinander feierten und sich freuten. Ich weinte, weil ich keine von ihnen war. Eine blonde Kollegin mit ihrer großen kroatischen Familie hatte diesen Traum ausgelöst.
Mit den Jahren ist es einfacher geworden, ich leide nicht mehr, wenn ich feststelle, dass ich irgendwo nicht dazu gehöre. Ich stelle eher die Frage, zu wem ich gehören möchte und warum. Auf alle Fälle zum Mann. Gerade hat er beschlossen, dass es Zeit zum Frühstücken ist. Er gibt mir auch eine von seinen Weißwürschten ab.

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