Das Auto bleibt zu Hause. Im Netzt gibt es ein Portal, das einem Wander-Routen in Brandenburg anzeigt, die von Bahnhof zu Bahnhof  führen. Wir nehmen den Bus, dann die S-Bahn, die am Samstag nur im 20-Minuten-Takt fährt. Aber immerhin fährt sie, das ist ja nicht selbstverständlich.

Lehnitz wirkt verschlafen. Straßen und Gärten leer aber aufgeräumt. Friedrich Wolf und Heiner Müller haben in den 50iger Jahren hier gelebt, da wird es noch beschaulich gewesen sein. Aber dann kamen irgendwann die Städter, und der Wanderer stellt fest, dass Wohlstand nicht automatisch mit ästhetischem Empfinden einhergeht. Das ist nun auch keine neue Erkenntnis. Die Markierungen für den E10 oder für den 66-Seen-Wanderweg haben sie gut versteckt, aber so leicht kann man uns nicht abschrecken.

Immer am See entlang, auch das gegenüberliegende Ufer keine Augenweide, dafür eine beeindruckende Schleuse, die sich gut in einem Krimi machen würde.  Der anschließende Oder-Havel-Kanal zieht sich hin, ich ziehe ein paar Mal meine Hose aus, dann wieder an, etwas kneift und verdirbt mir die Laune. Die wenigen Menschen, die uns auf Rädern oder Rollen entgegen kommen, sind freundlich, man grüßt sich. Andere Wanderer gibt es nicht. Auch keine sonnige Stelle, die zum Picknick einlädt.

In Friedrichstal studieren wir noch einmal die Karte, die leider grob und ungenau ist. Hier irgendwo muss die Kirche sein, die wir rechts liegen lassen sollen, bevor wir eine romantische Brücke überqueren und im Wald verschwinden. Wir essen schnell ein Brot, trinken einen Schluck Kaffee, wahrscheinlich ist der restliche Weg wieder doppelt so lang, wie ich mir das  erhofft habe.  Eigentlich eine verlässliche Größe beim Wandern: Alles ist immer viel länger als berechnet oder angekündigt.

Die Sonne ist fort, der Wald endlos, langweilig die vielen Bäume, wer will das sehen, die Hinweis-Schilder haben sie nach dem Zufallsprinzip verteilt bzw. weg gelassen. Wäre ich allein, würde ich mich an einen Baum setzen und  auf den Rettungshubschrauber warten. Den ich gar nicht rufen könnte, weil der Akku von meinem Handy leer ist. Dann würde ich mich eben heulend meinem Schicksal ergeben, dem einsamen Hunger- und Kältetod.

Der Mann bittet mich, ihm zu vertrauen, hier immer geradeaus, dann links, und da ist dann bestimmt Nassenheide. Ich glaube ihm nicht, aber da er vielleicht doch Recht hat, folge ich ihm. Was soll ich auch sonst tun? Und tatsächlich, wir kommen auf eine Straße, jetzt noch 2 Kilometer. Wahrscheinlich. Die letzten hundert Meter rennen wir, die Schranke ist schon unten, wenn wir diesen Zug nicht kriegen, dann müssen wir hier noch eine Stunde in der Einöde sitzen.

Die restlichen Brote essen wir im Zug. Ich bin erledigt und bewegungsunfähig und wundere mich, woher plötzlich die Kraft für diesen Endspurt gekommen ist. Und was ist in den letzten anderthalb Stunden aus meinen Füßen geworden? Den Mann amüsiert das, aber vor allem ist er froh, endlich ist Schluss mit dem Gejammer. Seiner Meinung nach sollte man Schmerzen und Ungewissheiten stoisch ertragen. Und noch etwas. Eine Frau sollte nie, wirklich niemals, einen Fremden nach dem Weg fragen, wenn sie mit ihrem Mann, ihrem Freund, mit dem Lebensabschnittsbegleiter unterwegs ist.

Einen Kommentar schreiben

Ihre Daten werden niemals an Andere weiter gegeben.
Die Email-Adresse wird nicht angezeigt. Notwendige Felder sind so markiert: *

*
*