Wenn ein Mensch ein Leben lang die ihm zugesandten Papier behalten würde, könnte er am Ende damit mühelos ein großes Zimmer füllen. Vielleicht eine Wohnung. Mein System des Umgangs mit Behörden- und Ämter-Post ist einfach, es hat sich in den Jahren als effektiv erwiesen. Ich werfe einen Blick auf den Inhalt, dann lege ich das Schreiben beiseite. Auf dem Schreibtisch wachsen die Stapel, und wenn sie umfallen, wandern die Stapel in die Schublade. Wenn nichts mehr in die Schublade passt, ist es Zeit für den gefürchteten Tag X. In der Regel ist dann ein Jahr vergangen und einiges hat sich Gott sei Dank von selbst erledigt.

Manchmal werde ich allerdings gezwungen, den Tag X vorzuziehen. Wenn ein Amt wichtige Unterlagen von mir anfordert, die ich bei oberflächlicher Suche nicht finden kann. Schicken sie dies und schicken sie das und schicken sie es gefälligst bis zum 30.10. Zwar bin ich krank und die Arbeitslosigkeit tritt erst ab April nächsten Jahres ein, aber man möchte sich schon jetzt um mich kümmern. Und damit man dies tun kann, müssen die Damen und Herren vom Amt erst einmal wissen, mit wem sie es zu tun haben. Ich habe eine Nummer, und als solche werde ich behandelt, völlig sinnfrei. Das ist beim Qualitätsmanagement in der freien Wirtschaft nicht anders.

In den letzten beiden Tagen habe ich also Briefe und Dokumente sortiert und dabei zunehmend schlechte Laune bekommen. Wie sich nämlich heraus stellte, habe ich in diesem Jahr nicht nur die Schublade sondern auch ein paar andere Orte mit Papieren gefüllt. Schwitzend und fluchend saß ich da, bildete Stapel, die ich anschließend noch einmal sortieren musste, bevor ich abheften oder wegwerfen konnte. Das Ergebnis meiner Arbeit steht im Flur und wartet auf einen kräftigen Träger, der es in den Papiermüll befördert.

Trotzdem ist noch genug Papier vorhanden, um einen armen Menschen an den Rand des Nervenzusammenbruchs zu bringen. Den armen Menschen z. B., der im Falle meines plötzlichen Ablebens meinen Nachlass sortieren müsste. Ich denke nicht nur an die offiziellen Schreiben, die den Vermerk tragen „Bitte nehmen sie diesen Beleg zu ihren Unterlagen.“ Ich denke an all die angefangenen Romane. Die Kurzgeschichten. Morgenseiten. Mehrere Reihen Tagebücher aus laptoplosen Zeiten.

Obwohl ich es mir schon oft vorgenommen habe, fällt es mir schwer, diese Sachen weg zu werfen. Vielleicht ist doch etwas dabei, das sich zu lesen lohnt. Es wird nicht alles so furchtbar sein wie die Geschichte vom Schutzengel Ariane, die auf die Erde kommt, um ihrer Anvertrauten mal gehörig unter die Arme zu greifen. Ariane fällt mir immer ein, wenn Freundin K. mich fragt, was das Schlimmste ist, das ich jemals geschrieben habe. Und ob ich es nicht einmal vorlesen möchte. Nein, möchte ich nicht. Gelacht wird woanders.

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