Die Stadtneurotikerin

noch leer am See. Das Wasser samtig weich, nicht zu kalt. Wenn ich auf dem Rücken lag, hatte ich auf der einen Seite die Sonne, auf der anderen konnte ich die schmale Mondsichel sehen. Später saß ich zum Aufwärmen in meinem neuen Kapuzen-Pullover – einem Erbstück vom Bulgaren – am Ufer und dachte an nichts. So geht Glück. Am Nachmittag bin ich dann noch einmal mit dem Hausmann zum Schwimmen gefahren. Eine kleine Erfrischung vor den Küchenaktivitäten anlässlich des Besuches unseres jungen syrischen Freundes.

Ein Essen für alle mal wieder, da reicht ein Blech Pizza alleine nicht, deswegen haben wir auch noch einen Flammkuchen gemacht, und von dem halb gefrorenen Erdbeer-Kuchen, den Q. und seine entzückende Freundin mitgebracht hatten, ist am Ende auch nichts übrig geblieben.

Der Syrer erschien mir größer als sonst, aber das liegt vielleicht an den anderen Wachstumsprozessen. Als er vor vier Jahren zu uns kam, lernte er für die B2-Prüfung. „Du redest wie ein Wasserfall.“ Das war ein Satz, der es ihm besonders angetan hatte. Ob er den auch zu seinem Sachbearbeiter im Jobcenter sagen könnte. Und dann die Anläufe für die C1-Prüfung. Und all die Fragen dazwischen. Nach den verbotenen Worten, und danach, ob in Deutschland auch alte Menschen noch Sex haben. „Du auch?“

Was habe ich mit ihm schon gelacht. Und jetzt steht dieser große Kerl vor einer Klasse 16jähriger und erklärt, was es mit dem arithmetischen Mittel auf sich hat. Vorerst nur als Aushilfelehrer, aber ich bin mir sicher, dass da mehr draus wird. Eine schöne Entwicklung.

Ich kann mir gut vorstellen, wie er als Lehrer ist. Zugewandt, geduldig, penetrant. Wie er gestern darauf beharrte, dass wir gefälligst überlegen sollten. Es wäre doch ganz einfach. Ein deutscher Satz mit nur vier Buchstaben. „Du Ei“, wie es der Hausmann gern gehabt hätte, war es natürlich nicht. Und natürlich ist auch kein Deutscher auf des Rätsels Lösung gekommen. Die Koreanerin war es.