allein im Garten inmitten des Pappelwollegestöbers. Wie dicke zarte Schneeflocken treiben die Samenfasern an mir vorüber, um mich herum. Der Hausmann sitzt nur wenige Meter von mir enfernt in seinem Bette, er wird später essen, aber er hat mir erzählt, dass er schon wieder Besuch von einer Schwalbe hatte. Wieder konnte er sie fassen und nach draußen entlassen. Ich schaue bis zum Deich, auf die Hügel dahinter. Wie es dort glänzt und leuchtet. Alles neu macht der Mai oder so ähnlich. Vor mir im Baum sitzt eine Nachtigall, die ich im dichten Laub nicht sehen, die ich nur hören kann. Hoch über mir umkreisen sich zwei rote Milane.

Eigentlich wollte ich jetzt das Hörbuch weiterhören, aber das passt nicht zu diesem lieblichen Morgen, nicht zu diesem schönen Tag. Das muss warten. Als ich gestern im Nachbardorf dem kranken Hund Gesellschaft geleistet habe, wollte ich auch ein bisschen arbeiten. Doch dann bin ich an dem Hörbuch „Der Fremde in uns“ von Arno Gruen hängengeblieben. Ich musste immer weiter hören. Da wird so viel klar noch einmal. „Unser Zeitalter verkörpert die Kulmination einer Entwicklung zur Unmenschlichkeit.“ Er bringt erschreckende Beispiele für diese Entmenschlichung vom Schlächter von Lyon Klaus Barbie bis zu Kämpfern im Jugoslawienkrieg. Dabei zitiert er u. a. auch den Schriftsteller und Umweltaktivisten Carl Amery, der Hitler nur für den Vorläufer eines Prozesses hielt, der noch immer in vollem Gange ist.

Arno Gruen hat 2001 für dieses Buch den Geschwister-Scholl-Preis bekommen, da es u. a. von geistiger Unabhängigkeit zeugt. Ich weiß nicht, ob sie ihm den heute noch einmal geben würden. Vielleicht wäre er ihnen doch ein bisschen zu unabhängig denkend. Ich sehe noch das Gesicht des Moderators vom SRF, als Arno Gruen ihm von der Studie der Universität St. Gallen erzählte, die gezeigt hatte, dass heutige Manager (der Beitrag ist von 2015) viel weniger empathische Fähigkeiten hatten als eine Gruppe von kriminellen Psychopathen, die im Gefängnis saßen. Komisch. Außer der NZZ hatte keine Zeitung jemals über diese Studie berichtet. Interessant wäre eine Studie mit Politikern. Aber bevor ich mir da ein Ergebnis vorstelle, gehe ich lieber zu den linden Lüften.

Einen Kommentar schreiben

Ihre Daten werden niemals an Andere weiter gegeben.
Die Email-Adresse wird nicht angezeigt. Notwendige Felder sind so markiert: *

*
*