Schon wieder auf der Fähre, nur ist das Wetter heute besser als letzten Freitag. Auch trübe, aber wenigstens regnet es nicht, und mit der Freundin zu plaudern ist auch eine Freude. Zumal sie viel besser aussieht. Die Medikamente helfen tatsächlich, vielleicht wird alles gut. Ein kleiner Spaziergang, dann kehren wir im Gutshaus Kladow ein. Die Wildknacker lecker, und der Salat mit warmen Ziegenkäse, den sich die Freundin bestellt hat, mundet ebenfalls. Aber das Sahnehäubchen sind die zwei Stunden, die wir später draußen auf der Terrasse in der Sonne sitzen.

Göttin sei Dank hält sich das Wetter nämlich nicht an die Vorhersagen der Meteorologen. Damit haben wir nicht  gerechnet. Trotzdem hat die Freundin Sonnencreme dabei, und die wird auch aufgetragen. Dazu dieser Blick auf die Havel, überall glitzert und leuchtet es, nicht weit von uns gurren Kraniche, ein Vogel landet auf dem Wasser, da gibt es nüscht zu meckern. Als der Wind kühler wird, wickeln wir uns eben in Decken.

Auf dem Rückweg zur Fähre fallen uns Menschen auf, die in kleinen und größeren Gruppen zusammenstehen, auch sie genießen offensichtlich das gute Wetter. Geflüchtete vermutlich. Menschen aus der NUK (Notunterkunft), die sich nicht weit von hier befindet und die unsere Gruppe letzten Freitag auch besucht hat. Da lebten in dieser Einrichtung 647 Menschen, davon 270 Kinder.  Und viele Behinderte – meinetwegen auch Menschen mit Handicap, in diesem Fall scheint mir der Sprachgebrauch nebensächlich – die nicht zum Arzt können, weil es keine Transportmöglichkeiten für sie gibt. Die Johanniter, die das sonst machen, wären überlastet, sagte man uns.

Ich werde schnell ärgerlich und rede mich in Rage, wenn ich über solche Dinge berichte. Vermutlich aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus. Die Freundin gesteht, dass sie Berührungsängste hat. Dass sie sich unwohl fühlt, wenn ihr in der S-Bahn mehrere junge Männer (erkennbar als Geflüchtete) gegenüber sitzen.

Vermutlich geht das anderen Menschen auch so. Vielleicht ist das sogar normal, wenn man noch keinen direkten Kontakt hatte. Wenn man nicht diese Geschichten im Kopf hat, nichts von den Schicksalen weiß. Und natürlich gibt es auch Männer mit Gewaltpotential, ich schließe das ja nicht aus, aber diese Männer sind nicht die Mehrheit.

Ich erinnere sie an den Film von Edgar Reitz, den wir vor noch gar nicht langer Zeit zusammen gesehen haben. An die Planwagen-Kolonnen derer, die in die Neue Welt aufbrachen. Weil sie in der alten – im Hunsrück – nichts zu essen hatten. Weil ihre Kinder an Hunger starben, weil es keine Perspektive für sie gab. Und nun kommen Menschen zu uns, die in ihrer Heimat nicht nur keine Perspektive haben, über deren Köpfe man außerdem Bomben abwirft. Wenn wir versuchen würden, das zu sehen. Wenn wir darüber nachdenken, wie wir uns fühlen würden, was wir tun würden, wenn uns so etwas zustößt. Wir müssen noch so viel miteinander reden. Aber vor allem müssen wir uns wohl begegnen.

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