Geht das Leben weiter? Passieren wichtige Dinge? Ich sehe im Vorübergehen die langsam schmelzenden Eisschollen auf der Spree, den Sonnenschein, das gleißende Licht. Alles scheint so zu sein wie immer, ist es aber nicht. In der S-Bahn blättern Menschen aufgeregt in Berlinale-Heften, sie telefonieren, erzählen sich gegenseitig, welchen Film sie gleich sehen werden, welchen sie gerade gesehen haben. Fremde bieten Karten an oder fragen, ob man selber eine übrig hat. Sie wühlen nach Stiften, Taschentüchern in ihren Berlinale-Taschen, bevor sie  wieder in einem dunklen Kinosaal verschwinden. Und ich mit ihnen.

Gestern Abend dachte ich, das halte ich keinen weiteren Tag aus. Ich war völlig erledigt, konnte nicht mehr muff nicht maff sagen. Zwischen den einzelnen Kino-Terminen gibt es ja noch ein paar andere Dinge, die erledigt werden müssen, so dass ich mir manchmal schon vorkomme, als würde ich Akkord arbeiten. Und das kann ich durchaus beurteilen, denn ich habe es schon getan. Aber welch Wunder, morgens bin ich wieder frisch und ausgeruht, freue mich auf den neuen Tag,  bin neugierig und bilde mir ein, ich würde etwas verpassen, wenn ich heute nicht ins Kino ginge.

Wären wir gestern Abend nicht in den Friedrichstadtpalast gegangen, ich hatte auch noch eine Karte für den Mann besorgt, wir hätten nichts verpasst. Aber das kann man vorher nicht wissen. Zumal Filme hymnisch gelobt werden, bei denen ich mich frage, ob der Rezensent sie überhaupt gesehen hat. Zur Beruhigung musste wir anschließend ein kleines Bier trinken, 3,50 Euro für 0,3 l,  aber wir hätten es ja auch sein lassen können. Kaffee sollte man auf keinen Fall dort trinken, wir haben es einmal versucht, er war lauwarm und schmeckte scheußlich.

Als wir also versuchten, uns beim Bier zu beruhigen, blieb eine Freundin an unserem Tisch stehen. Wenn man sich schon sonst nicht trifft, bei der Berlinale kann es vorkommen. Natürlich wollte ich wissen, wie ihr der Film gefallen hat. Konnte sie nicht sagen, sie hatte die meiste Zeit geschlafen. Viele andere Menschen haben mit Tüten geraschelt, haben gehustet und sich bewegt, was soll man auch machen, wenn die Kamera endlose Sekunden lang auf Gesichtern und Situationen  verweilt? Ich vermute, ein solches Vorgehen wurde von irgend einer Instanz als höchst künstlerisch bewertet. Mich dagegen hat „Bal“ aufrichtig gelangweilt. Und das hat nichts damit zu tun, dass mir der kleine Junge nicht gefallen hat. Der war entzückend. Und auch mein Bild über Anatolien hat sich geändert. Vielleicht war der Film als Meditation gedacht. Eine Meditation über das ländliche, schwere Leben. Über einen kleinen Jungen, dessen Vater den Bienen hinterher geht, die aus unerfindlichen Gründen plötzlich weg bleiben. Aber ich schlafe auch beim Meditieren manchmal ein.

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