Die S-Bahn ist vom Wintereinbruch mal wieder überrascht worden, heißt es. Schnee im Dezember? Ist das überhaupt erlaubt? Jeden Tag stehe ich mir irgendwo die Beine in den Bauch. Heute funktioniert wenigstens ein Lautsprecher. Der nächste Zug Richtung Ahrensfelde kommt angeblich um 11.50 Uhr, sagt die quäkende Stimme. Es ist 11.25 Uhr. Eine Frau erzählt, dass sie neuerdings eine Stunde eher als gewohnt von zu Hause losgeht, eine andere hat immer eine Thermoskanne mit heißem Tee dabei, und ich überlege, ob ich zum besten gebe, dass ich neulich sogar eine Beerdigung verpasst habe, aber dann nehme ich doch lieber den Zug in die entgegengesetzte Richtung und hoffe, dass mich von Wannsee eine Regionalbahn in die Stadt bringt.

Meine Hoffnung wird erfüllt. Abfahrt nach Fahrplan. Nach dem sich meine Verblüffung gelegt hat, nutze ich die Zeit im Warmen zum Telefonieren. Das ist immer noch besser als über einen möglichen Amoklauf nachzudenken. Gestern hatte ich überlegt, mich Bahnhof Friedrichstraße auf die Gleise zu setzen, um auf diese Weise meine Wut und meinen Ärger zu demonstrieren. Dann bin ich aber doch schön auf dem Bahnsteig stehen geblieben. Weil es doch irgendwie tragisch wäre, wenn man mich aus Versehen überfahren würde. Dieser Bahn traue ich alles zu.

Ich spreche mit einem freundlichen Franzosen. Sie suchen jemanden, der Texte korrigiert, schreibt, was weiß ich, eventuell ist eine Webseite zu betreuen. Es geht um Survival-Camps für benachteiligte Berliner Jugendliche, junge Menschen, die sonst nicht raus kommen aus der Stadt, die beim Reiten und Kanu fahren nicht nur ihren Spaß haben, sondern die auch etwas über sich selbst und die Natur erfahren sollen. Das wäre doch mal eine sinnvolle Aufgabe, und in dem zweiten Job, den ich mir noch suchen muss, oder der vielleicht ganz einfach zu mir kommt, da muss ich eben etwas mehr verdienen.

Gestern habe ich mir eingestanden, dass ich Freude am Verkaufen habe. Da ich nicht schlafen konnte, habe ich im Geist sogar gleich eine Liste erstellt, in der es um die Punkte ging, die ein guter Verkäufer berücksichtigen sollte. Falls ich eines Tages um einen entsprechenden Kurs gebeten werde. Wie verkaufe ich mit Erfolg. Als mir C. vor ein paar Wochen etwas darüber erzählte, habe ich ihn (innerlich jedenfalls) belächelt. Vor allen an der Stelle, als es um meinen traurigen oder nicht so fröhlichen Gesichtsausdruck ging. Inzwischen muss ich ihm in einigen Punkten (ich sage nicht in allen, damit das mal klar ist) recht geben.

Allerdings würde ich meinen zukünftigen Verkäuferinnen mit etwas mehr Fingerspitzengefühl ins Gewissen reden. Wenn ich es recht verstehe, geht es beim Verkaufen in erster Linie um Präsenz. Man könnte auch sagen um ZEN. Wenn du verkaufst, dann sei bei dem, der bei dir ist. Begegne ihm offen, sei aufmerksam und drifte nicht ab mit deinen Gedanken. Er ist für diesen Moment bei dir der König, sie die Königin. Wenn ich das mal bei der S-Bahn wäre.

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