an der Vorstellung arbeiten, dass ich vor 11 nicht in der Lage (oder willens) bin, Besuch zu empfangen. Ich sollte nämlich eine Woche lang etwas tun, was meinen Vorstellungen von mir über mich widerspricht. Dass ich vor 11 zu nichts zu gebrauchen bin, das ist ja nur eine Vorstellung. So wie die, dass ich gern prokrastiniere. (Ich habe immer noch nicht das ganze Begleitmaterial von Modul 1 meines Kurses gelesen, dabei gibt es seit gestern neues Material, wieder 60 Seiten.) Würde ich mein Verhalten ändern, würde sich auch meine Vorstellung über mich verändern. Egal. Ich hatte meiner heutigen Interviewpartnerin das mit dem 11 Uhr geschrieben, sie kam freundlicherweise um 12. Obwohl ich selbstverständlich angeboten hatte, dass ich auch zu ihr….

Wieder ein interessanter, sympathischer Mensch, eine interessante Geschichte. Auch eine, die davon geträumt hatte, auf dem Land zu leben. Vor 30 Jahren ist sie dann mit ihrer Familie hergekommen. Beim Abschied fragte sie, ob ich ihr eins meiner Bücher mitgeben könne. Sie würde es gern lesen. Ich eierte herum, fragte, ob sie am Bildschirm liest – macht sie nicht – um dann damit herauszurücken, dass ich nur ein Exemplar eines Buches habe und dass ich ihr das nicht geben könne. Weil ich es gerade selber noch einmal lesen möchte. Was tatsächlich stimmt.

Dabei hätte ich mich freuen können. Hätte sagen können, du, das gebe ich dir gern, es würde mich interessieren, was eine Therapeutin dazu sagt. Ich habe über Trauma geschrieben. Über meinen Umgang damit, darüber, was es für mich bedeutet, wie ich es erlebt habe, immer noch erlebe. Stattdessen habe ich den Schwanz eingezogen. Wofür ich mich später geschämt habe. Scham. Schuld. Mein zweiter, mein dritter Name. Aber wer schämt sich schon gern oder fühlt sich gern schuldig. Angenehm ist es nicht. Deshalb habe ich schon vor sehr vielen Jahren eine Strategie für den Umgang mit unerwünschten Gefühlen entwickelt. Ich habe sie nicht zugelassen, habe mich abgelenkt, an etwas anderes gedacht, etwas Anderes getan. Manchmal mache ich das heute noch. Und dann wundere ich mich ein paar Stunden später – bevorzugt nachts – dass ich mich schlecht fühle. Darüber habe ich auch in dem Trauma-Buch geschrieben. Auch darüber, was ich tun muss, um in Frieden mit mir zu leben. Ich muss mir lediglich gestatten, all das Unerwünschte zu fühlen. Ich erlaube mir, Scham zu empfinden. Auch Scham dafür, dass ich „gesehen“ werden möchte. Die Erlaubnis ist die Lösung. Aber eh ich mir die so gebe. Da habe ich mich schon eine Stunde im Kreis gedreht.

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