Schon wieder früh aufgestanden. Schon wieder das Gefühl gehabt, mich trotzdem beeilen zu müssen. Außerdem schlafe ich schlecht. Was vielleicht kein Wunder ist. Die Fortbildung hat angefangen, und ich möchte nicht gleich in den ersten Tagen durch verspätetes Eintreffen auffallen. Also bin ich sicherheitshalber schon mal um 4.30 Uhr wach. Von da ab alle halbe Stunde. Ich muss lockerer werden. Darf mich in der Selbststudienzeit nicht dazu verführen lassen, Gesetze und Verordnungen zu recherchieren, die ich sowieso nicht verstehe. Was unter anderem auch daran liegen könnte, dass sie weder logisch noch sinnvoll sind. AsylG eben.

Heute haben wir nach dem theoretischen Teil eine NUK (Notunterkunft) besucht. Natürlich wurden wir nicht herum geführt, wir blieben gleich im ersten Raum, der nur von Männern bewohnt wird. Eigenartig war es trotzdem. Obwohl ich ja schon als freiwillige Helferin unterwegs war, in den Räumen, in denen die Menschen schlafen, in denen sie Tage, Wochen, oft auch Monate verbringen, war ich noch nie.  Nur ein einziges Mal hatte ich einen schnellen Blick durch ein Fenster geworfen und dann gleich wieder weggesehen.

Es waren nicht die vielen Betten in der anderen NUK,  dicht an dicht, die mich erschreckt hatten, auch nicht das Fehlen jeglicher Privatsphäre, obwohl einen das schon erschrecken kann. Es war eher das unangenehme Gefühl, mich in diesem Moment wie ein Voyeur zu verhalten. Als Kind  – ein Kind in Ost-Berlin – hatte mich schon die Tatsache aufgeregt, dass es im Westen extra Aussichtstürme gab, auf die Menschen klettern durften, damit sie zu uns in den Osten schauen konnten. Ich fand das pervers.
Vielleicht fühlte ich mich also auch aus diesem Grund heute in den ersten Minuten recht unbehaglich. Allerdings half mir dann recht schnell die ungezwungene Atmosphäre, mich zu entspannen. Und das Gefühl, mit unserem Besuch bei den Bewohnern eher so etwas wie neugierige Heiterkeit ausgelöst zu haben. Der junge Leiter der  Einrichtung hatte uns wohl angekündigt. Und siehe da: Es war friedlich. Nicht schön, aber immerhin ein sicherer Ort.

Wenn die Kanzlerin ein wenig voreilig gesagt hatte „wir schaffen das“, dann sind es im realen Leben vor allem Menschen wie dieser junge Mann (und die vielen Freiwilligen natürlich), die diese enorme Aufgabe bewältigen. Er ist z. B. letztes Jahr praktisch über Nacht zu diesem Job gekommen, musste mit wenigen Helfern binnen einer Woche diese Einrichtung aus dem Boden stampfen. Und so läuft das überall. Aber wie es  aussieht, machen er und sein Team die Sache gut.

Wenigstens dürfen sich die Menschen hier einen privaten Raum schaffen, auch wenn er winzig ist. Hoffentlich kommt nicht das Lageso und verbietet dies eines Tages, weil es gegen irgendeine Verordnung verstößt. Erst vor kurzem habe ich eine Dokumentation gesehen, in der zwei Tüftler vorgestellt wurden, die ein Haus aus Pappe entworfen haben. Man braucht nur einen Akku-Schraubenzieher und zwei Stunden Zeit für den Aufbau. Und natürlich jemanden, der die Kosten übernimmt. Häuser im Haus, so etwas kann doch nicht so schwierig sein.

Gott sei Dank hat der junge Mann auch nicht versucht, die Probleme, die bei seiner Arbeit selbstverständlich zur Genüge auftauchen, klein zu reden. Und hat damit auch gleich meine bisherigen Überlegungen zum Thema bestätigt. Auf  Regierungsebene werden Gesetze und Verordnungen erlassen, die in der Realität oft nicht durchführbar sind. Wie kann es z. B. sein, dass die Bewohner einer NUK keine finanziellen Leistungen erhalten sollen, auf die sie ein Anrecht haben, weil der Betreiber einer NUK kein Wohnungsgeber ist? Was für ein Irrsinn ist das denn?

Vielleicht müssen sich die verschiedenen Betreiber (einigen sollte man wohl genauer auf die Finger schauen, da gibt es auch schwarze Schafe) und die Stellen, die sich für Flüchtlinge engagieren, noch mehr vernetzen. Vielleicht brauchen wir in der Flüchtlingsfrage wie früher runde Tische. Mit Politikern, Organisatoren, Sozialarbeitern, und mit Flüchtlingen natürlich.

Trotzdem fühlte ich mich nicht entmutigt. Im Gegenteil. Auch wenn es oftmals keine Erfolgserlebnisse gibt, Anträgen nicht stattgegeben wird, Kinder nicht in der Schule bleiben können, weil sie auffällig sind, weil es erst gar keine Plätze für sie gibt, obwohl die Verordnung etwas Anderes sagt, obwohl man Beharrlichkeit braucht, einen langen Atem, eine große Frustrationstoleranz, nach dem Besuch fühlte ich mich bestätigt. Ja, diese Arbeit ist eine gute Sache. Das will ich machen. Und dafür studiere ich dann auch AsylG.

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