Der Mann sitzt in seinem Zimmer und telefoniert mit der jüngsten Tochter. Ich kann hören, wie er Avatar sagt. Und dass sie sich den unbedingt ansehen müsse. Großes Kino. Geniale Technik. Und dann fällt mir ein, wie wir ihn neulich in Babelsberg bedrängen mussten, dem Film „Soul Kitchen“ eine bessere Note zu geben. Nein, eine 1 wäre das auf keinen Fall. Eine 1, also die bekämen nur ganz besondere Filme. Eine 2 plus, darauf würde er sich notfalls einlassen, aber eine 1, das wäre wirklich zu viel verlangt. Gute Musik, witzige Story, rasantes Tempo, gute Laune hinterher, das sei alles wahr, aber eben keine 1!

Gestern eine ähnliche Diskussion. Anderes Kino. Andere Freunde. Er ist der einzige in unserer Fünferrunde, der dem Film eine 2 gibt. Meinetwegen eine gute 2, sagt er wieder. Aber großes Kino brauche großartige Bilder. Und die hätte „Die Schachspielerin“ nicht gehabt. Ich interveniere. Großes Kino heißt meiner Meinung nach auch, dass es die dahinter liegende Idee überzeugend zum Ausdruck bringt. Dass es mich mitnimmt und vor allem über die volle Länge bei der Stange hält. Dass es gut dramatisiert ist. Dass es mir vielleicht eine neue Sichtweise eröffnet und mich nachdenklich, glücklich, traurig, oder heiter und beschwingt, möglicherweise auch alles zusammen, aus dem Kino entlässt.

Sandrine Bonnaire war wie immer beeindruckend. Von Kevin Kline, an den ich mich vor allem erinnere, weil er  in „Ein Fisch namens Wanda“ Jamie Lee Curtis becircte, ich heiße Otto, das ist italienisch und heißt acht, würde ich mir auch das Schachspielen beibringen lassen. Wobei er bei mir wohl nach der ersten halben Stunde erkannt hätte, dass ich nicht dieses gewisse Etwas mitbringe wie Hélène.

Ich habe nicht verstanden, warum ein Kritiker schrieb, es sei nicht ganz klar, warum die Protagonistin plötzlich diese Leidenschaft für Schach entwickle. Nicht klar? Da sind 2 Verliebte auf einem Balkon in dem kleinen Hotel, in dem Hélène als Zimmermädchen arbeitet. Sie spielen Schach, aber all die kleinen Gesten während des Spiels, die Blicke, die Bewegungen, sie machen das Spiel zu einem sinnlichen Erlebnis für die Frau, die das Ganze fast wie ein Voyeurin beobachtet. Und wenn man selber  in einer  ein wenig langweilig gewordenen Ehe steckt, wenn das Leben an sich nicht mehr viele Überraschungen bereit zu halten scheint, dann kann sich da eventuell eine späte Leidenschaft entwickeln.  

Und weil das alles weder sentimental noch kitschig gezeigt wird, empfehle ich den Film gerne weiter. Da ich gerade dabei bin: Auch „Whatever works“ von Woody Allen bekommt eine Empfehlung. Man muss den Film gesehen haben, um zu verstehen, warum mich nicht nur der Satz „Verzeihen sie, wenn ich das frage, aber war ihre Mutter eine Frau?“ so erheitert hat. Denn eigentlich mag ich die Kombination junge Frau/alter Mann nicht so sehr. Und „Vicki Christina Barcelona“ hatte mich  auch nicht vom Hocker gehauen.

Sehr gern gesehen habe ich auch „Adam – eine Geschichte über 2 Fremde“. Über die mögliche oder vielleicht auch nicht mögliche Liebe zwischen einer so genannten normalen jungen Frau und einem Mann, der unter einer leichten Form von Autismus, dem Asperger Syndrom, leidet. Und nicht zu vergessen „Das gelbe Segel“, ein Roadmovie, das nicht nur durch William Hurt sehenswert ist. Filme wie diese könnten einem dunklen und schneeverhangenen Tag wie dem heutigen ein wenig Helligkeit schenken. Also noch kurz ein Abstecher ins Kino, bevor man sich im Supermarkt mit Nahrungsmitteln, Kerzen und Trinkwasser eindeckt. Und dann einfach tapfer dem angekündigten Chaos trotzen!

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