Seit ein paar Tagen werde ich morgens von einer Taube besucht. Sie landet auf dem Fenstersims, plustert sich auf, reckt den Hals, starrt angestrengt durch die Scheiben in mein Bett. Ich starre zurück, und so sind wir ein paar Sekunden lang Aug in Aug, bis sie genug vom Starren hat, sich umdreht, und weg fliegt. Das wäre eine schöne Einstellung für einen Film. Langsam. Bedächtig.

So langsam und bedächtig wie der Film, den ich gestern mit B. im Kant-Kino gesehen habe.  „Die Frau mit den 5 Elefanten“ , ein Dokumentarfilm über eine besondere Frau. Swetlana Geier. Übersetzerin. Sprachkünstlerin. Die  5 Elefanten sind 5 dicke Bände Dostojewski, die sie in den letzten 15 Jahren für den Amman-Verlag neu übersetzt hat.  Aus „Schuld und Sühne“  wurde „Verbrechen und Strafe“, so wie es übrigens auch die Franzosen und Briten übersetzt haben.

Fünf Tage in der Woche diktiert sie mit den Büchern auf dem Schoß ihre Übersetzungen einer Sekretärin in die Maschine. Später liest ihr ein Freund die Texte  vor, manchmal diskutiert sie mit ihm dann ein Komma, ein Semikolon. Auch beim Bügeln geht es ähnlich wie beim Übersetzen darum, den Fäden zu ihrer ursprünglichen Form zurück zu helfen. Swetlana Geier weiß viel über die Sprache, auch dass man niemals ganz genau dasselbe ausdrücken kann, wie es in der anderen Sprache gemeint ist. Man denke nur mal an „Über allen Wipfeln ist Ruh“. Was ist mit Ruh gemeint? War da vorher etwas? Was ist das für eine Stimmung? Sich dem Original so weit es geht anzunähern, das ist ihre Arbeit, ihre Lust, seit mehr als 60 Jahren.

Ich habe Swetlana Geier vor ein paar Jahren in Nikolassee gesehen und gehört, die Buchhändlerin dort organisierte damals literarische Salons, und zu einem dieser Abende war Swetlana Geier extra aus Freiburg angereist. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich die Veranstaltung vorzeitig verlassen hatte, nach 3 Stunden war meine Schmerzgrenze erreicht, ich konnte nicht mehr sitzen. Nach dem Film tut es mir leid, dass ich dieser besonderen Frau nicht mehr Aufmerksamkeit und Zeit geschenkt habe.

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