Noch sitze ich mit dem Laptop im Bett, aber in einer halben Stunde werde ich am Potsdamer Platz am Ticket-Schalter stehen und versuchen, eine Karte für den nächsten Film zu bekommen. Ich fröne dieser Tage ja nicht nur meiner Leidenschaft für das Kino, ich sehe mir auf der Leinwand auch die Welt an, wo ich im wirklichen Leben doch eher die kleinen Kreise ziehe.

Vielleicht muss man gar kein Film-Fan sein. Vielleicht ist es eher so, dass man irgendwann von diesem eigenartigen Sog erfasst wird, und dann kann man sich ihm nicht mehr entziehen. Manchmal passiert es nach der ersten Vorstellung, manchmal später. Ich schaue in viele unterschiedliche Länder hinein, in unterschiedliche Leben, dabei sehe ich Dinge, die ich manchmal gar nicht sehen möchte, aber nun sind sie da,und ich muss hin schauen.

Und wenn dann nach dem Film der Regisseur mit seinen Protagonisten auf der Bühne steht (warum bringt eigentlich niemand den Drehbuchautoren mit, das ist doch ein Wermutstropfen) da bekommt das ganze noch eine zusätzliche Dimension. Wenn da zum Beispiel ein Team aus dem Irak kommt, sie haben den großartigen Film „Son of Babylon“ gemacht, wenn der 12jährige Hauptdarsteller, der am Tag zuvor das erste Mal in seinem Leben in einem Kino saß, wenn ich mir ausrechnen kann, wie sein Leben im Irak ist, ich habe schließlich gerade den düsteren Film gesehen, der mir kein Happy-End beschert hat, wenn dieser lebendige und witzige Junge dann mit seiner Mütze auf dem Kopf den Zuschauern den Arm entgegen reckt, wenn er uns „Hello Berlin“ entgegen ruft und wir hinterher erfahren, dass es vor allem die Pinkelszene war, die ihm Sorgen bereitet hat, während uns die Szenen mit den Massengräbern noch immer in den Knochen stecken, dann werde ich auf eine Weise berührt, die mich für viele Tage nicht mehr los lässt.

Es sind vor allem diese kleinen Filme aus entlegenen und leider auch oft vergessenen Teilen der Welt, die mir vor Augen führen, wie privilegiert ich hier lebe und wie klein meine Probleme sind. Aus vergangenen Berlinalen, vergangenen Erlebnissen dieser Art weiß ich aber auch, dass dieses Gefühl des Glücks schnell verfliegt. Und dann stehen die tatsächlichen oder die eingebildeten Probleme, die sich doch gerade so nett relativiert hatten, wieder vor der Tür. Aber noch ist das Glück da, und damit es stabil bleibt, gehe ich auch heute ins Kino.

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