Gestern eine lange Schlange am Potsdamer Platz, ich stelle mich brav hinten an. Versuche mit vollen Händen, Kaffeebecher, Fotoapparat, Jacke, Schal, Mütze, Berlinale-Heft, Stift, alles in den Griff zu kriegen. Verschütte den Kaffee, stolpere über meinen Rucksack, verheddere mich im Schal, kann die Namen auf der Anzeigetafel nicht entziffern. So gut ist die Brille nun auch nicht. Erst beim Näherkommen kann ich die Titel der Filme  lesen, für die es noch Karten gibt. Vergleiche mit meinen Markierungen im Heft, notiere die 5stelligen Nummern, damit es schneller geht, wenn ich dran bin. Meine Mühe zahlt sich aus, ich bekomme noch Karten für sechs Filme. Spontan entscheide ich, dass ich nur noch bis Freitag mitmache, dann ist Schluss. 

An der Tageskasse im Cinestar gibt es noch Restkarten für „Budrus“, ich habe mal wieder Glück. Im Untergeschoss mache ich dann erstmal Pause, lese Zeitung, esse meine mitgebrachten Brote, lege die Beine hoch. Höre unfreiwillig Telefonate, in denen vermutlich nicht so wichtige Männer den Eindruck von Wichtigkeit erwecken wollen. Ich plädiere für handyfreie Zonen auch auf der Berlinale.

„Budrus“ also. Ein kleines Dorf in der West Bank. Die Menschen leben dort seit Generationen von der Olivenernte. Manche Bäume tragen die Namen von Großmüttern. Nun kommen die Israelis und wollen ihre Mauer errichten. Nicht etwa in entsprechender Entfernung, nein, die Mauer soll durch die Olivenhaine gehen, 3000 Bäume sollen verschwinden. Palästinensisches Land, aber das nur nebenbei. Hinterher erzählt Ayed Morrar, dass das Dorf gegen diesen Entscheid hätte klagen können, aber das erfahren sie einen Tag bevor die Bulldozer erscheinen.  Wie in diesem Dorf langsam der Widerstand wächst, wie auch die Frauen des Ortes sich gegen die Zerstörung wehren, wie sie friedlich für den Erhalt ihrer Lebensgrundlage demonstrieren und wie immer mehr Menschen ihnen zu Hilfe kommen, Israelis, Südafrikaner, davon erzählt dieser Film. Sehenswert.

Als Mensch, der in der DDR aufgewachsen ist, hat man vielleicht per se ein gestörtes Verhältnis zu Mauern. Ich kann nicht verstehen, dass wir, die wir letztes Jahr so begeistert und lange den 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution gefeiert haben, dass wir nicht immer mal wieder in aller Freundschaft darauf hinweisen, dass so eine Mauer unserer Erfahrung nach nichts Gutes bringen kann. Falls sich von unseren Politikern dazu niemand in der Lage sieht, ich erkläre mich hiermit bereit, einen freundlichen Brief an die entsprechenden Damen und Herren in Israel zu schreiben. Oder als ehemals Betroffene dort einen kleinen Vortrag zu halten. Falls das politisch korrekt ist.

Auf www.justvision.org kann man sich übrigens über die Friedensprojekte, über ihre Aktivisten, den Film und vieles mehr informieren.

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