Es sah so aus, als würde es keine Überraschungen geben. Die kleine Nachtmusik genau so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Kann man die nicht mal anders? Das Stück für Klavier und Orchester, nun ja. Ich beobachtete den Maestro und seine Performance. Mal winkte, mal lockte er. Das war nett anzusehen. Hatte aber noch jede Menge Zeit, mir nebenher Gedanken zu machen. Was bedeuten die vielen leeren Plätze im Orchester? Kann ich möglichst unauffällig meine Strümpfe ausziehen?

Sind das echte Orgelpfeifen? Warum haben die Chorplätze keine Lehnen? Ist in der Tasche, die mein linker Nachbar so fest auf seinem Schoß hält, womöglich eine Bombe? Werden wir es in der Pause rechtzeitig zu einem Getränk schaffen? Dauert das noch lange? Sind diejenigen, die fast bewegungslos auf ihren Plätzen sitzen, die echten Klassikkenner? Die Enthusiasten? Und diejenigen, die ihre Hände kneten, mit den Füßen wippen, sich die Haare sortieren, sind das die gleichen Banausen wie ich? Warum sind sie gekommen? Und wie schaffen es die Zuschauer, sich das Husten, Räuspern, Schnäuzen bis zur Pause zwischen den einzelnen Sätzen zu verkneifen? Die meisten jedenfalls? Und sieht der Mopedfahrer nicht auch etwas gelangweilt aus?

Natürlich schafften wir das mit dem Getränk in der Pause nicht. Meine Tasche wäre groß genug gewesen, ich hätte ein Fläschchen und zwei Gläser einpacken sollen. Fliehen war dann irgendwie auch nicht möglich. Gott sei Dank. Nach der Pause ein anderes Setting. Das Klavier versenkt. Ein Podest für den Maestro. Eine sehr große Partitur, die er sehr schnell umblätterte. Neue Musiker, vor allem aber auch ein sehr ungewöhnliches Instrument, und die Laute, die die Frau, die es spielte (Christa Schönfeldinger), ihm entlocken konnte, noch ungewöhnlicher. Es dauerte nur Sekunden, dann war ich mitten drin und gepackt. Mal jaulte, mal zirpte es, Sirenentöne schwollen an und wieder ab, Wasser tropfte, dann fiel es, es rauschte, krachte, klingelte, so etwas habe ich noch nie gehört, ich fand es großartig. Der ideale Soundtrack für einen alten Schwarzweiß-Film, auch moderner Tanz könnte dazu passen, der Mopedfahrer sprach später allerdings auch von Elfen, die er „gesehen“ hatte.

Ein sehr modernes Stück, der Komponist, Jörg Widmann, der sich später den Applaus abholte, erst 43. Das habe ich alles in der Nacht noch gegoogelt. Auch das Instrument, das sich Glasharmonika nennt, und das schon 1761 entwickelt wurde. Und dann habe ich in einer Kritik auf Spiegel online auch noch gelesen, dass es diesem Komponisten erstaunlicherweise gelingt, sogar Konzertgänger zu begeistern, die sich gar nicht für moderne Musik interessieren. Sieh an. Sogar Konzert- und Klassikmuffel kann er begeistern.

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