sagt die Spanierin, die mir mit Eimer und Feudel in der Küche entgegenkommt. Sie hat gerade mit Hilfe des Hausmanns die Zimmer unten umgeräumt und bei dieser Gelegenheit den Steinfußboden im vorderen Raum entdeckt, den sie nun freilegen wird. Ich weiß von diesem Boden, vor 30 Jahren war dort angeblich ein Bad. Gleich wird sie hüpfen, denke ich, während ich Kartoffeln schäle und noch bei den Dokumenten bin, durch die ich mich den Vormittag über gelesen habe.

Eigentlich habe ich nur die Kopien des Familienbuches meiner Großeltern gesucht. Ich habe sie vor 12 Jahren nach dem Tod meines Vaters gemacht, bevor ich das Buch zu seinem Bruder nach Australien geschickt habe. Doch dann konnte ich mich nicht von den Dokumenten losreißen. Es ist Jahre her, dass ich sie in der Hand hatte.

Ich habe also noch einmal die Briefe gelesen, die mein 26jähriger Vater 1960 aus dem Gefängnis Cottbus und aus dem Arbeitslager Stalinstadt an seine Mutter geschrieben und die er immer mit „dein Junge“ gezeichnet hatte. Auch den kleinen Block habe ich gefunden, auf dem mein Vater 1974 im Krankenhaus in West-Berlin den Pflegern und seinen Besuchern Mitteilungen notiert hatte. Es ging ihm sehr schlecht damals, der Zungenkrebs hatte ihn den halben Kiefer gekostet, sprechen konnte er nicht, so richtig gut ist das auch später nicht geworden. Irgendjemand muss ihn nach mir gefragt haben. Nach der Ost-Tochter. „Tochter steht kurz vor dem Abitur“. Diesen Satz habe ich erst heute entdeckt.

Und dann las ich noch einmal den Brief, den ihm eine Freundin aus Ahrenshoop geschrieben hatte, wo sie mit ihrem Mann die Sommermonate verbrachte, im eigenen Haus versteht sich, sozialistische Intelligenzija eben. Am 25.7.1990 schrieb sie an meinen Vater, dass sie zwar keine Wohnung für seine Freunde gefunden, dass sie ihm aber das Buch „Im eigenen Auftrag“ besorgt hatte. Mein Vater hatte ein Faible für Markus Wolf, kurz vor seinem Tod hatte er sich noch „Die Troika“ von mir gewünscht.

Am Ende des Briefes hatte mein Vater eine Passage unterstrichen, zumindest vermute ich, dass er das war. „Die Herrschaft des Geldes wird siegen – wie schade, dass unsere Vision von der Möglichkeit der Rettung der Menschheit verunglimpft worden ist.“

Manche Menschen waren damals so weitsichtig. Aber hatte mein Vater das auch so gesehen? Ich weiß so vieles nicht von ihm. Aber das ist nicht ausschlaggebend für meinen Antrag auf Einsicht in seine und meine Stasiunterlagen. Es scheint mir eher so, als wäre ich erst jetzt, im 30sten Jahr der Wiedervereinigung, zu diesem Schritt bereit.

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