Beim Schreiben des Datums fiel es mir ein. Heute ist Martinstag und wir haben keine Gans. Aber ich habe meinem Sohn schon gestern am Telefon versprochen, dass wir essen gehen, wenn er kommt. Ich wende die Tricks aller Mütter an und locke mit einer guten Mahlzeit. Bei männlichen Kindern funktioniert das eher als bei weiblichen, habe ich mir sagen lassen. Das italienische Restaurant am U-Bahnhof Hansaplatz gehört kulinarisch nicht in die besseren Kreise, aber man sitzt nett, es schmeckt und das Preis-Leistung-Verhältnis stimmt. Es ist so günstig, dass ich überlege, wie die Betreiber sich das leisten können. Das übliche Sonntag-Vormittag-Programm ist auch absolviert. Cappuccino gekocht, gestern war der Mann dran, zusammen mit einem Brot ans Bett gebracht, im Bett Kaffee getrunken, Brot gegessen, wobei der Mann sicherlich wieder gekrümelt hat. Zuvor hatte er wie sonst auch im Bademantel die Zeitung aus dem Briefkasten geholt. Da kennt er keine Scham, sagt er. Wem er denn um diese Zeit auf der Treppe begegnen sollte? Mir fällt spontan der Mieter unter uns ein. Auch einer, der im Bademantel vor die Tür geht. Vor ein paar Wochen hatte er mich abgefangen, als ich gerade auf dem Weg zur Arbeit war. Er muss hinter der Tür gestanden und darauf gewartet haben, dass ich vorbei komme. Ein sehr empfindlicher Mann. Geräuschphobiker. Er stand morgens um sieben im Schlafanzug und Bademantel, um den Hals ein elegantes Tuch, auf dem Treppenabsatz, um mir endlich einmal zu sagen, dass er wegen mir nicht länger schlafen kann und wie sehr ihn das ärgert. Womit ich denn um diese Zeit durch die Wohnung gehe? Missbilligend warf er einen Blick auf meine Schuhe. Chic. Spitz. Kleiner Absatz. Mit denen? Ich schüttelte den Kopf. In der Wohnung trage ich Gesundheitsschlappen. Das Gesundheit ließ ich weg. Man muss den Leuten ja nicht alles auf die Nase binden. Aha. Kein Wunder. Schlappen machen Krach. Ob ich denn nicht anders laufen könnte? Leiser vor allem? Ich weiß selbst, dass ich nicht wie eine Feder schwebe. Ich laufe wie ich laufe. Energisch. Was sollte ich seiner Meinung nach tun? Ich könnte wie mein Mann laufen. Der sei schließlich den ganzen Tag zu Hause und liefe ordentlich. Sehr gut beobachtet. Der Mann ist tagsüber daheim und arbeitet am PC. Ich habe das Thema dann später im Büro zur Sprache gebracht. Es scheint Menschen zu geben, die durch ihre Wohnung poltern und damit das Wohlbefinden anderer, unter ihnen lebender vor allem, stören. Also gut, ich versuche, mich vorsichtiger durch mein Zimmer zu bewegen. Sieht vermutlich auch eleganter aus. Ein Blick aus dem Fenster bekräftigt den Eindruck, den ich schon beim Aufwachen hatte. Es ist ungemütlich draußen. Richtiges Novemberwetter. So wie ich es liebe. Bei schönem Wetter fühle ich mich verpflichtet, vor die Tür zu gehen. Eine Art Drang in die Natur. Bei diesem Nieselregen kann ich mit ruhigem Gewissen drinnen bleiben, kann mich am PC vergnügen. Juliette Greco sagt in einem Interview, es ist ihr nie ums Geld gegangen, sie hatte sowieso keines. Früher jedenfalls nicht. Sie wollte immer das machen, wozu sie Lust hatte. So geht es mir auch. Deswegen sitze ich immer noch an diesem blöden PC.
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