Während ich vorsichtig mit dem Messer hantiere, ich habe mir letzte Woche zweimal in den Finger geschnitten, immer in denselben, fällt mir die Tante ein. Wie sehr sich unsere Telefonate in den letzten Monaten doch ähnelten. „Isst du regelmäßig?“ „Was denkst denn du? Natürlich. Heute habe ich mir Paprika gemacht, ein paar Kartoffeln dazu, mehr brauche ich nicht.“ Wenn sie sich täglich etwas kocht, dann ist alles in Ordnung, dachte ich. Und dass es normal ist, wenn man sich mit 87 manchmal schlapp fühlt.
Letzte Woche haben wir das letzte Mal miteinander gesprochen. Da lag sie schon auf der Intensivstation, und sprechen ist auch nicht die richtige Bezeichnung für das, was wir taten. Obwohl ich in den Hörer schrie, verstand sie kein Wort von dem, was ich sagte. Was vielleicht ganz gut war. Was machst du denn für Sachen ist keine besonders intelligente Frage. Sie war zwar sterbenskrank, aber nicht im Kopf.
Man hatte ihr einen Herzschrittmacher eingesetzt und vermutlich hatte man ihr auch gesagt, dass sie für die Operation der zusätzlich benötigten Bypässe zu schwach war. Sie wusste, wie es um sie stand. Und sie wusste auch, dass sie selbst im unwahrscheinlichen Fall einer vorübergehenden Besserung nicht mehr alleine leben könnte. Eine schreckliche Vorstellung für jemanden, der seine Unabhängigkeit über alles schätzt. Sie wollte sterben, möglichst schnell und möglichst schmerzlos, dafür sollte ich beten. Das war alles, was sie sich noch wünschte.
In den letzten Tagen saß ihr Bruder an ihrem Bett. Angereist aus Australien, der Besuch seit Monaten geplant. Vielleicht hat sie sogar auf ihn gewartet. Man hört von solchen Dingen. Am Ende ist sie jedenfalls friedlich eingeschlafen, nachdem sie ein paar Tage gekämpft hat. Eine tapfere Frau bis zum Schluss, die sich darüber wunderte, wie schwer das Sterben doch ist. Denn das hatte sie sich nicht so vorgestellt.
Sie hatte mir einmal gesagt, dass es auf viele ihrer Fragen keine Antworten gibt. Warum sie ihren Mann überlebt hat zum Beispiel. Oder ihren anderen Bruder, meinen Vater. Und weil das so sei, müsse man an etwas glauben. An einen Sinn, der sich irgendwann offenbaren würde. Sie hat daran geglaubt, dass es nach dem Tod irgendwie weitergeht. Dass sie dann eine Antwort auf ihre Fragen findet. Ich hoffe, dass sie Recht behält.

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