Ein paar Jahre konnte ich mich erfolgreich drücken. Konnte mich damit herausreden, dass ich ja 1. als Atheistin mit christlicher Chormusik nicht allzuviel anfangen könne, und dass ich 2. nicht unbedingt quer durch die Stadt fahren wolle. Einmal hatte ich tatsächlich Zahnschmerzen. Aber nun singt die nordische Freundin bei uns in der Kirche, und ihrem“Da wirst du doch wohl kommen, oder?“ konnte ich leider nichts entgegensetzen. Zumal es nicht wie eine Frage, sondern doch mehr wie eine Drohung klang. „Wie lange dauert es denn?“ Okay. 40 Minuten, das sollte sogar ich aushalten. Und wenn ich in der letzten Bank sitze, kann ich vielleicht schon früher.

Kurz bevor es losgeht, taucht dann eine weitere Freundin auf, Nachbarin noch dazu, sie ist freiwillig hier. Der Chor steht, auch Cello und Geigen sind am Platz, aber erst einmal hören wir nur die Orgel. Das packt mich schon mal gar nicht. Obwohl ich Orgel schon mag. Ich wende mich zur Seite. „Wenn das jetzt ein Film wäre, würde ich sagen, lass uns Kaffee trinken gehen.“ Die Freundin lächelt, weiß sofort, worauf ich anspiele. Damals. Berlinale. Potsdamer Platz. Martha Wainwright. Ich sehe ihr an, dass sie wohl mitkäme. Aber natürlich bleiben wir.  Und bereuen es auch nicht.

Dieser Chor klingt nicht nur sehr professionell, der klingt sogar richtig gut, und das Programm ist auch nicht so übel. Bach und Bartholdy, es gibt Schlimmeres, und die tiefste Not kennen ja auch Atheisten. Da werde ich wohl bis zum Schluss bleiben. Und ja, klatschen kann ich auch. Dann ein paar Takte, die Männer setzen ein, und mir kommen plötzlich Tränen. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Was ist das denn? „Cantique de Jean Racine“ von Fauré. Noch nie gehört von diesem Komponisten. Ich bin wohl doch ein hoffnungsloser Fall. Und obwohl ich nichts vom Text verstehe – gesungen wird auf französisch – obwohl es immer noch derselbe Chor, dieselben Musiker sind, berührt mich das. Und am Ende kommt meine Begeisterung tatsächlich von Herzen.

Anschließend in das Restaurant Ecke Potsdamer, das erst vor kurzen neu eröffnet hat. Hoffentlich sind sie erfolgreicher als all die Vormieter, die es hier schon versucht haben. Der Redner behauptet, man könne dort sehr lecker vietnamesisch speisen. Es ist gut gefüllt, ein sehr netter junger Mann bringt uns gleich zwei Prosecco, zum Willkommen und weil sie eben neu sind, und dann vergeht die Zeit wie im Fluge. Wir essen, es ist wirklich gut, wir reden, gackern, eigentlich wollen wir gar nicht nach Hause, aber auf mich wartet ein Hund, auf meine Freundin ihr Mann, der erst vor zwei Stunden eingeflogen ist, also tschüss. Ein entspannter, wunderbarer Abend, wie man ihn leider nicht planen kann. Manchmal passiert es eben. Gott sei Dank.

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