Ein eigenartiger Tag. Ich schlafe länger als sonst und bin entschieden müder als sonst. Schon gestern Abend wusste ich nicht, wie ich meine Augen offen halten sollte. Vielleicht die Bildschirm-Arbeit. Oder die neue Maske, die mir die Hallenser Freundin geschenkt hat. Sie ist wahrscheinlich die gepflegteste Frau, die ich kenne. Und eine der attraktivsten noch dazu. Sogar ungeschminkt. Würde sie Werbung für Kosmetik machen, das Zeug ginge weg wie nichts.

Der Weg zur S-Bahn macht mich etwas munterer. Ich habe mich für die Mittagsschicht  in der Erstaufnahmeeinrichtung angemeldet. Was für ein bescheuerter Name. Erstaufnahmeeinrichtung. Andererseits, wie soll man das nennen? Lager womöglich? Ich bekomme einen Helfer-Ausweis, eine einfache Plastikkarte, die an einer noch einfacheren Strippe befestigt ist, so kann ich sie mir um den Hals hängen, wenn ich möchte.

Es sind schon etliche Helfer da, junge vor allem, ich bin hier der Gruftie, aber das stört mich nicht. Ob ich vielleicht mithelfen möchte, Pudding in Plastikbecher zu füllen? Klar, möchte ich. Anderthalb Kellen pro Becher in etwa. Neben mir betätigt sich ein junger Mann. Wie ich nach einer Weile erfahre, ist er letztes Jahr aus Nigeria gekommen. Jetzt hilft er hier. Er ist lustig, macht ständig Späße.

Als er später an der nächsten Station Wasser ausgibt, normales Leitungswasser, schon wieder jede Menge Plastikbecher, aber sind Gedanken über all den Müll nicht nebensächlich in einer solchen Lage? ich weiß es nicht, der junge Mann jedenfalls preist den Pudding in den höchsten Tönen. Wir bieten ihn auch als Crema an. Irgendjemand hat behauptet, das würde im Arabischen so ähnlich heißen. Der junge Mann spricht allerdings immer von Pudding. Pudding für Mutti. Ich habe eine bessere Idee. Muttis Pudding. Oh je. Da habe ich etwas angerichtet.

Nur einen Pudding pro Person bitte. Hart sein, wenn jemand zweimal kommt. Gesichter merken. Hallo?

Die Gesichter. Manche haben eine eigenartige Wirkung auf mich. Unvermittelt steigen mir nämlich Tränen in die Augen. Das geht gar nicht. Ich gebe mir Mühe, sie wegzublinzeln. Manche Babys sehen krank aus. Krank und unterernährt. Einige Menschen sehen krank aus. Da kann ich auch kein Leben in den Augen entdecken. Andere wieder scheinen wohlauf zu sein. Gut gelaunt sogar. Und wie haben es die Familien mit den drei kleinen Kindern hierher geschafft? Eins davon noch auf dem Arm der schwangeren Mutter? Wie ist es dem Mann mit dem Rollator gelungen?

Nicht darüber nachdenken, ich bin hier zum Pudding austeilen, dafür, jedem ein freundliches Wort zu geben, das Gefühl, tatsächlich willkommen zu sein. Deswegen denke ich auch nicht daran, mit den Puddings streng zu sein. Und natürlich werde ich wieder kommen. Das wusste ich schon nach einer halben Stunde.

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