Um 5 hörte ich unter meinem Fenster leise Stimmen. Der Kroate und seine Frau. Die russische Künstlerin wird heute in unserem Garten ihre Ausstellung zeigen. Wahrscheinlich konnte sie nicht länger schlafen. Ich vermute das natürlich nur, da ich vor einem solchen Event wach liegen würde. Andere Menschen sind vielleicht souveräner. Ich war es die ganze Nacht lang nicht, stattdessen plagten mich Ängste. Alles erschien mir verkehrt. Auszuziehen. Hierzubleiben. Die übliche Leier, die ich so gut kenne und auf die ich gern verzichten würde.

Als ich gestern Abend aus der U-Bahn kam, musste ich an einer langen Schlange vorbei. Es hat eine Weile gedauert, bis mir klar war, dass sie alle auf einen Gemüsedöner warten. Zumindest gibt es den bei Mustafa. Eine Stunde für einen Döner anstehen? Da würde ich es doch vorziehen, eine Kleinigkeit im „Sufis“ zu mir zu nehmen, so wie ich das meist nach einem Besuch im Yorck-Kino mache. Auch gestern.

Der Mopedfahrer und ich einer Meinung in Bezug auf den neuen Almodóvar. Guter Film, beeindruckende Schauspieler, berührende Geschichte. Eine starke Frau, diese Julieta. Und gleichzeitig so sehr in ihrem Schmerz gefangen. Den ich allerdings verstehe. Ein Kind, das nichts von einem wissen will, hinterlässt eine Leerstelle. Ich weiß, wovon ich spreche. Julietas Freund hat das gut erkannt. Er wusste immer, dass da etwas war, von dem seine Partnerin ihn ausgeschlossen hatte. Und das ist nicht ungewöhnlich. Auch der Schmerz, den man für sich, den ich für mich behalte, ist für einen sensiblen Menschen sichtbar.

Nur der Hirsch, der in der Nacht neben der Bahn her rannte oder galoppierte, der war ja wohl reichlich unrealistisch. Fand der Mopedfahrer. Warum muss das realistisch sein? Gibt es nicht immer wieder Ereignisse, die völlig unrealistisch sind, die aber trotzdem passieren? Und warum soll ein Film überhaupt realistisch sein?

Komisch natürlich, dass ausgerechnet ich so etwas sage. Weil ich ja das Verhalten von Toni Erdmann und seiner Tochter völlig unrealistisch fand. Egal. Das eine hat mich gelangweilt und kalt gelassen, das andere nicht. Für mich ist gerade dieser Hirsch in der Nacht ein Bild, das ich in Erinnerung behalten werde. Und die Szene im Zug. Der Fischer, der die liegende Julieta betrachtet. Von einem anderen Menschen so gesehen werden. Bevor ich da weiter drüber nachdenke, werde ich mir lieber noch einen Kaffee machen. Das ist realistisch.

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