Was kann man tun, noch dazu bei einem Wetter wie diesem, wenn man den ganzen Tag allein an seinem PC gesessen und fleißig gearbeitet hat? Da belohnt sich die Frau und geht  ins Kino. Montag ins Delphie mit S. „A Single Man“ von Tom Ford nach einem Roman von Isherwood. Ein Film über einen Tag im Leben eines Mannes, dessen Partner bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Die beiden waren 16 Jahre zusammen. Nach dem Tod des Freundes lebt George Falconer wie in einer Blase. Ohne Jim, den wir immer mal in Rückblenden sehen, ist das Leben nicht mehr lebenswert.  Deswegen will er Schluss machen mit dem Elend, den Revolver hat er schon in der Aktentasche. Doch bevor er ihn benutzt, wird er den letzten Tag genießen. Denn das ist das Eigenartige. Oder eben auch nicht eigenartig. Er will sich umbringen, und plötzlich ist da so viel, was das Leben doch eigentlich schön macht. Spielende Kinder. Junge Gesichter. Die Begegnung mit einem Studenten, mit einem fremden gut aussehenden jungen Mann, mit seiner langjährigen Freundin Charley.

Mit seinen Studenten an der Uni kann er sogar über die Angst reden, die unser Leben klein macht. Und darüber, dass die Gesellschaft sich immer vor Minoritäten fürchtet. Über das Schwulsein spricht er natürlich nicht, es sind die frühen 60iger Jahre, wir können uns nur vorstellen, dass es seine eigene Angst ist, über die er redet.

Ich hatte gehofft, dass er sich das mit dem Umbringen noch einmal überlegt, das tatsächliche Ende hätte ich vielleicht ahnen können. Colin Firth, den ich vor allem mit Grandezza den hässlichen selbst gestrickten Pullover mit Hirsch tragen sehe, ist so schön, so traurig, und dann auch wieder so heiter, allein wegen ihm würde ich nochmal…

Gestern dann mit B. in der Kulturbrauerei. „Lourdes“. Buch und Regie Jessica Hausner. Von unserem Drehbuch-Lehrer spontan zu seinem Film des Jahres 2010 erklärt. Da bin ich natürlich neugierig. Ich brauche ein paar Minuten, um mich zurecht zu finden. Ein Gruppe von Wallfahrern, junge und alte, krank die meisten, einige im Rollstuhl, betreut von attraktiven Maltesern, die auch in Brunettis Venedig als Carabinieri mitspielen könnten, auch die  Malteserinnen tres chic in ihren gut sitzenden weißen Trachten, den knappen roten Jacken.

Unter den Kranken eine junge Frau, Christine, meist mit roter Mütze unterwegs, die außer ihrem Kopf nichts mehr bewegen kann. Multiple Sklerose. So sicher weiß man nicht, ob sie in Lourdes ist, weil sie an Heilung glaubt, oder ob es ihr gefällt, unterwegs zu sein. Rom findet sie irgendwie kultureller. Aber natürlich wünscht sie sich ein normales Leben, eines, in dem sie laufen kann und glücklich ist.

Sie alle suchen etwas. Heilung für sich, für die Tochter. Kontakt. Und sie alle scheinen in ihrer Welt gefangen. Der Mann, der sich Ablenkung von seiner Einsamkeit erhofft, der bleibt auch auf der Reise einsam. Viele kleine Geschichten in der großen, in der Christine am Ende wieder laufen kann, wir aber nicht wissen, ob diese Heilung nun eine Heilung ist oder ob sie gerade einen Schub erlebt, wie es bei der Krankheit MS wohl passieren kann.

Wie diese Heilung von den anderen aufgenommen wird, welch kleinliche, aber durchaus menschlichen Fragen das aufwirft, warum gerade sie, warum ich nicht, warum nicht meine Tochter, das wird großartig gezeigt. Ich finde sowieso, dass in diesem Film das meiste auf einer nonverbalen Ebene passiert. Wir sehen die Gesichter, die Gesten, die Blicke, so viel stumme Verzweiflung auch, das ist Kino. Und wenn am Schluss die junge, hübsche Malteserin, die in den Ferien mal etwas Sinnvolles machen wollte, wenn die mit dem alten Sänger Felicita singt, manche erinnern sich vielleicht an Romano und Albina, dann ist das keine Antwort, sondern für mich eher eine Frage. Ist das Glück? Der unschuldige Blick inmitten der Menge? Darüber kann ich ja noch eine Weile nachdenken.

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