Die zweite Parodontose-Behandlung war nicht so schlimm wie die erste. Dummerweise habe ich mir am Wochenende den Kiefer verrenkt, heute musste ich aufpassen, wie weit ich den Mund aufreiße. Gerne weit, weil ich mir nämlich Sorgen mache, Madame könnte mir ein Stück von der Zunge entfernen. Während ich also verkrampft auf dem Stuhl liege, innerlich mein Mantra vor mich hin brumme und die schabenden und kratzenden Geräusche zu ignorieren versuche, fällt mir David Gilmour ein. Nicht der Pink Floyd Gilmour. Der andere, dessen Buch ich gestern in einem Rutsch durchgelesen habe. „Unser allerbestes Jahr“ haben sie aus „The Film Club“ gemacht. Das war bestimmt nicht die Adelheid Zöfel, die das übersetzt hat. 

David Gilmour also hat einen Sohn. Jesse. Und als der sechzehn ist, hat er keinen Bock mehr auf Schule. Das ist körperlich spürbar. Der geht in die Schule, weil er Angst hat. Aber so viel Angst nun auch nicht, dass er fleißig wäre oder die Sache ernst nähme. Mister Gilmour ist ein außergewöhnlicher Vater. Der sagt nämlich zu seinem Sprößling, also hör zu, von mir aus musst du nicht länger in die Schule gehen. Du kriegst hier zu essen, zu trinken, ein Bett. Und alles, was ich will, ist, dass du dir jede Woche drei Filme mit mir ansiehst. Filme, die ich aussuche. Kapiert? Das wird deine einzige Ausbildung sein. Noch eine Bedingung: Keine Drogen. Ich kann mir vorstellen, wie verblüfft Jesse war.

Und über dieses Experiment hat der Vater dann ein Buch geschrieben. Das ist komisch, berührend, und weit mehr als ein Bericht über das allerschönste Jahr der beiden. David Gilmour erzählt von Jesses unglücklichen ersten Liebesgeschichten, über die Mutter, seine Ex, mit der er als einzige so wunderbar über das „Kind“ reden kann, er erzählt von Filmen, ihren Plots, warum sie funktionieren, wie sie es tun, welches seine Lieblingsfilme sind und warum oder warum manches Schrott ist, man es sich aber trotzdem ansehen kann.

Ich erfahre nicht nur eine Menge über eine besondere Vater-Sohn Beziehung, ganz nebenbei kriege ich eine Einführung in Filmgeschichte. Und jede Menge Anregungen, welche Filme ich noch einmal oder überhaupt sehen sollte.

Wenn es so ein Buch doch schon vor achtzehn Jahren gegeben hätte. Wie viel leichter wäre mir möglicherweise der Umgang mit meinem sich damals total verweigernden Sohn gefallen. Wir machen uns ja so gern Sorgen, dass aus den Kindern nichts wird, wenn sie nicht so sind, wie wir uns das vorstellen. Die müssen doch in die Schule, oder etwa nicht? Hier zeigt einer, wie es auch gehen kann.

Allerdings fürchte ich, es ist wie mit dem Mann, der sich mit Dick und Doof vom Prostata-Krebs geheilt hat, was bei anderen Kranken leider nicht geholfen hat. Und trotzdem. Ein Versuch würde sich bestimmt lohnen. Schlimmstenfalls lernt man selber etwas. Denn um es hier mal mit Robert McKee, einem meiner Drehbuch-Gurus zu sagen: Storys sind nichts weiter als Metaphern für das Leben. Und ich bin mir sicher, dass ich schon jede Menge aus Filmen gelernt habe.

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