In den letzten Tagen sowieso. Diese Zahnarie. Eine kleine, patente, kompetente, sehr resolute Frau, die von einigen ihrer jungen Patienten angeblich Dr. Werwolf genannt wird, gibt ihr bestes. Sie kann nichts dafür, dass ich nach zwei Stunden nur noch einen Wunsch habe, es möge bitte vorbei sein, meinetwegen auch für immer, Hauptsache, die Schmerzen hören auf.

Ich überlege, ob mein Traum von der Sklavenkolonie, in der das geringste Fehlverhalten mit dem Tode bestraft und ein hilfloser Aufstand blutig niedergeschlagen wurde, eine Vorwegnahme meiner Erlebnisse auf diesem Zahnarztstuhl sind. Frau L. hatte mich erstaunt gefragt, ob ich etwa den Film über die Colonia Dignidad gesehen hätte. Habe ich nicht. Aber ich weiß, dass dort während der Pinochet-Diktatur Menschen zu Tode gefoltert wurden.

Alte Brücke runter, Zähne bohren, schleifen, der Backenzahn bekommt noch hurtig eine Wurzelbehandlung, ach, sie merken das, da spritze ich noch mal nach, eine Ruine ziehen, da hilft auch das Nachspritzen nicht, Abdrücke ohne Ende, ich bin nur noch ein fühlendes Bündel Mensch.

Seit dem löffle ich Joghurt und stippe Croissants in Cappuccino. Beim Sprechen pfeife ich, aber das bilde ich mir angeblich nur ein. Ende Juli soll alles wieder chic und ich dann hoffentlich wie neu sein.

Mit dicker Backe und eingeschränkter Redefähigkeit raus nach Nikolassee in die Wohngemeinschaft, in der ich schon einmal acht Jahre gelebt habe. Es gibt eine freie Einheit unter dem Dach, dort habe ich zuletzt gewohnt, und die beiden kleinen Zimmer im Erdgeschoss, die mich diesmal interessieren, sind ab September zu haben. Das passt. Den August über bin ich mit K. und Gästen auf dem Hof der Stille.

Haus und Garten sind in den vergangenen Jahren nicht schöner geworden. Die Eigentümerin investiert nicht, nach wie vor sind die Bäder für Liliputaner, die elektrischen Leitungen morsch, und doch ist da auch immer noch dieser marode Charme. Die Mitbewohner sind noch die alten, gastfreundlich, zugewandt, ich bekomme ein frisch bezogenes Gästebett und darf Probe schlafen.

Wenn ich mich ein wenig um den Garten kümmere, wenn ich den Putzbesen schwinge, es wird diesbezüglich einen kleinen Deal zu beiderseitigem Vorteil geben, dann kann ich dort vielleicht für eine gewisse Zeit wieder Wurzeln schlagen. Mich ausruhen. Psychisch jedenfalls. Und schon überlege ich, was jetzt alles möglich ist.

Abends mal eben bei den Schwestern vorbei schlendern. Baden im Schlachtensee. Kino im Thalia Arthouse. Radtouren zur ehemaligen Söhnel-Werft, die jetzt zu Loretta gehört. Mit dem Schiff nach Kladow. Sogar schlafen sollte dann wieder möglich sein.

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